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Kammergerichts Berlin, Urteil vom 01.04.2021 – 8 U 1099/20 – “Herabsetzung der Miete auf die Hälfte wegen staatlich angeordneter Geschäftsschließung“
Nunmehr musste sich auch das Kammergericht Berlin mit der Frage befassen, welche Auswirkungen eine staatlich angeordnete Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie auf die Miete für einen Geschäftsraum hat (Kammergericht Berlin, Urteil vom 01.04.2021 – 8 U 1099/20). Das Kammergericht entscheidet, dass bei einer staatlich angeordneten Geschäftsschließung wegen der Corona-Pandemie die Miete gemäß § 313 BGB auf die Hälfte herabzusetzen sein kann, ohne dass eine Existenzbedrohung des Mieters im Einzelfall festgestellt werden muss.
Mietsache ist eine Spielhalle, die aufgrund staatlicher Anordnung unter anderem im April und Mai 2020 geschlossen werden musste. Gegenstand der Klage sind die Mieten für diese Monate. Das Kammergericht führt zunächst aus, dass der Mietzahlungsanspruch für die Monate April und Mai 2020 nicht aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.03.2020 zu verneinen ist. Gemäß Art. 240 EGBGB, § 1 Abs. 4 gilt das ohnehin nur bis zum 30.06.2020 geregelte Leistungsverweigerungsrecht nicht für Miet- und Pachtverträge. Vielmehr beschränkt § 2 des Gesetzes nur das Recht auf Kündigung. So kann der Vermieter ein Mietverhältnis nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 01.04.2020 bis 30.06.2020 trotz Fälligkeit der Miete diese nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht. Diese Regelung ist befristet bis zum 30.06.2022, was sich indessen nur auf das Kündigungsrecht des Vermieters und nicht auf die Zahlungspflicht des Mieters bezieht. Die Zahlungspflicht bleibt unberührt.
Das Kammergericht Berlin verneint eine Minderung gemäß § 536 BGB wegen der Schließung von Spielhallen. Denn zum einen ist aufgrund einer mietvertraglichen Formularklausel dem Mieter die Geltendmachung eines Minderungsrechts mittels Abzugs von der vertraglich geregelten Miete nicht gestattet. Der Mieter wird insoweit auf die Geltendmachung etwaiger Bereicherungsansprüche verwiesen. Das Kammergericht bekräftigt seine ständige Rechtsprechung, die auch vom Bundesgerichtshof geteilt wird, dass eine solche Regelung bei der Gewerberaummiete nach gefestigter Rechtsprechung wirksam ist (BGH NJW-RR 1993, 519; BGH NJW 2008, 2497; Guhling/Günter, Gewerberaummiete, § 536 BGB, Rn. 424 m.w.N.).
Das Kammergericht Berlin vertritt die Auffassung, dass die Miete aber wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB anzupassen und für den hier vorliegenden Fall der vollständigen Schließung des Geschäftsbetriebs der Mieterin um 50 % zu reduzieren ist. § 313 BGB sei anwendbar und werde durch das Gewährleistungsrecht nicht verdrängt. Zwar liege kein Sachmangel vor, weil die hoheitlichen Maßnahmen wegen der Pandemie nicht an die baulichen Gegebenheiten der Mietsache anknüpfen, sondern an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr, der Infektionen begünstigt. Das Mietobjekt sei nach Beschaffenheit und Lage für den vereinbarten Zweck weiterhin geeignet. Der Mieter könne aber den Anspruch aus § 313 BGB auf Vertragsanpassung hinsichtlich der Miethöhe dem Mietzahlungsanspruch einredeweise entgegenhalten (BGH NJW 2010, 1663 Rn. 16) und dieser Anpassungsanspruch sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil in Art. 240 EGBGB § 2 nur ein Kündigungsmoratorium geregelt wurde (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 24.02.2021 – 5 U 1782/29, Rn. 27 m.w.N. und OLG München, Beschluss vom 17.02.2021 – 32 U 6358/29, Rn. 16 ff.). Unberührt bleibt aber die Zahlungspflicht des Mieters. Daraus folgt hingegen nicht, dass die volle vereinbarte Miete geschuldet ist.
Das Kammergericht Berlin beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB vorliegt und führt aus, dass der Tatbestand der Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB ein tatsächliches Element, ein hypothetisches und ein normatives Element voraussetzt (Münchener Kommentar, BGB, § 313, Rn. 56). Die Geschäftsgrundlage wird gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, beim Vertragsschluss aber zutage getretenen, dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder durch die gemeinsamen Vorstellungen beider Teile vom Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille auf diesen Vorstellungen aufbaut (BGH NZM 2020, 322; BGH NJW 2010, 1663 Rn. 17). Zur Geschäftsgrundlage der Parteien als Vermieter und Mieter von Geschäftsräumen zur Nutzung als Spielhalle gehört danach die Vorstellung, dass es nicht zu einer Pandemie mit weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens infolge pandemiebedingter Nutzungsuntersagungen und -beeinträchtigungen kommen würde, sodass das Auftreten der Pandemie mit den entsprechenden weitreichenden staatlichen Eingriffen in das wirtschaftliche und soziale Leben eine schwerwiegende Änderung der für die Vertragslaufzeit vorgestellten Umstände bedeutet und damit das tatsächliche Element der Störung der Geschäftsgrundlage verwirklicht (vgl. OLG Dresden, a.a.O., Rn. 37 m.w.N.). Der Mieter konnte die Räume, die er vor Beginn der Corona-Pandemie gemietet hatte, durch hierzu ergangene staatliche Vorschriften oder Anordnungen über die Schließung überhaupt nicht in der vertraglich vorgesehenen Weise für sein Gewerbe nutzen. Das hypothetische Element ist erfüllt, wenn die vertragschließenden Parteien bzw. eine der Parteien den Vertrag nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten, wenn sie die Veränderung der Umstände, welche zur Geschäftsgrundlage gehören, vorhergesehen hätten. Es liegt nahe, dass die Vertragsparteien, wenn sie die Veränderung vorhergesehen hätten, den Mietvertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenngleich sich im Einzelfall aus den vertraglichen Regelungen ein anderer Parteiwille ergeben kann. Es ist nach Auffassung des Kammergerichts zu vermuten, dass eine Mietabsenkung für den Zeitraum einer zweimonatigen Zwangsschließung der Spielhalle vereinbart worden wäre, wenn die Parteien die Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie vorhergesehen hätten (hypothetisches Element).
Kernfrage im Rahmen von § 313 Abs. 1 BGB ist aber das normative Element, nämlich ob einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Dagegen spricht zunächst, dass das Verwendungsrisiko grundsätzlich beim Mieter liegt. Denn für eine Berücksichtigung der Regelungen über die Störung der Geschäftsgrundlage ist grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen. Eine solche vertragliche Risikoverteilung schließt für die Vertragspartei – abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt – regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGHZ 223, 290 Rn. 37 unter Verweis auf BGH NJW 2000, 1714).
Allerdings gehe es hier nach Auffassung des Kammergerichts nicht um ein „normales“ Risiko der Gebrauchstauglichkeit bzw. der Verwendung des Mietobjekts, sondern um weitgehende staatliche Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben aufgrund einer Pandemie, die als Systemkrise eine Störung der großen Geschäftsgrundlage ist. Das mit der Störung der großen Geschäftsgrundlage verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden. Der aufgrund der Pandemie staatlich angeordnete Lockdown stellt einen derart tiefgreifenden, unvorhersehbaren, außerhalb der Verantwortungssphäre beider Vertragsparteien liegenden und potentiell existenzgefährdenden Eingriff in die im Vertrag vorausgesetzte Nutzungsmöglichkeit dar, dass – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – die Nachteile solidarisch von beiden Vertragsparteien zu tragen sind und die Miete bei vollständiger Betriebsuntersagung zur Hälfte zu reduzieren ist (so auch OLG Dresden, a.a.O., Rn. 44; LG München I, Urteil vom 05.10.2020 – 34 O 6013/20 juris Rn. 37). Die Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie stellen nach Auffassung des Kammergerichts einen extremen Ausnahmefall im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung dar, was auch aus älteren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs folge. So ist ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für einen Mietvertrag über ein Schuhgeschäft auf dem Gelände eines ehemaligen Energiekombinats wegen eines beabsichtigten Kraftwerkneubaus bejaht worden (BGH ZMR 1996, 309 Rn. 30 f.) und für einen Pachtvertrag wegen abgeschnittenen Milchbezugs aus der Sowjetischen Besatzungszone immerhin in Betracht gezogen und offen gelassen worden (BGH NJW 1958, 785). Eine Halbierung der Mietbelastung bei völliger Betriebsuntersagung stehe auch im Einklang dazu, dass einem Reiseveranstalter nach Kündigung wegen höherer Gewalt, nämlich dem Tschernobyl-Unglück, gegenüber dem Reisenden ein hälftiger Anspruch auf Hotel-Stornokosten zugesprochen wurde (BGH NJW 1990, 572).
Das Kammergerichts vertritt die Auffassung und führt aus, es sei für einen Anspruch aus § 313 BGB nicht unabdingbar, dass eine konkrete Existenzbedrohung für den Mieter anhand seiner betriebswirtschaftlichen Daten positiv festgestellt werde, sondern es sind die „unter Umständen existenziell bedeutsamen Folgen“ im Sinne der BGH-Rechtsprechung zu vermuten, wenn eine angeordnete Schließung einen Monat oder länger dauert. Staatliche Hilfen seien zwar grundsätzlich mit zu berücksichtigen. Im vorliegenden Falle hatte der Mieter aber die zunächst gezahlte Corona-Hilfe in Höhe von Eur 15.000,00 an die Investitionsbank Berlin zurückbezahlt. Soweit für die Monate April und Mai 2002 Kurzarbeitergeld an den Mieter gezahlt worden ist, hat dieser unbestritten vorgetragen, dass dieses an die Mitarbeiter ausgezahlt worden ist und die Arbeitgeberanteile abgeführt worden sind. Die Zahlung von Kurzarbeitergeld allein ändere auch nichts an der Unzumutbarkeit der Mietbelastung.