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OLG Frankfurt Urteil vom 21.06.2022 – 9 U 92/20 – “Geschlechtsneutrale Anrede als verpflichtende Auswahlmöglichkeit bei Online-Formularen“


Das OLG Frankfurt hat mit Urteil vom 21.06.2022 (9 U 92/20) über ein Online-Formular der Deutschen Bahn entschieden, in welchem Kunden bei der Fahrkartenbestellung zwingend zwischen der Anrede als „Herr“ oder „Frau“ wählen mussten. Hiergegen hat eine Person nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit wegen einer Benachteiligung nach dem AGG geklagt.

Das OLG hat einen Verstoß gegen § 19 AGG bejaht. Danach ist eine Benachteiligung aus Gründen unter anderem des Geschlechts und der sexuellen Identität insbesondere beim Abschluss eines Vertrags im Massengeschäft grundsätzlich unzulässig. Zwar wird die klagende Person vorliegend nicht deswegen benachteiligt, weil ihr ein Vertragsschluss gar nicht angeboten wird, die Benachteiligung liegt aus Sicht des Gerichts aber darin, dass der Vertrag von dieser nicht geschlossen werden kann, ohne eine falsche Angabe in dem vorgesehenen Eingabefeld zu machen, welche der eigenen geschlechtlichen Identität nicht entspricht. Vor diesem Hintergrund hat das OLG der Klage stattgegeben, aber der Bahn eine Umstellungsfrist eingeräumt und diese erst ab 01.01.2023 verpflichtet, es zu unterlassen, die klagende Person dadurch zu diskriminieren, dass sie bei der Nutzung ihrer Angebote zwingend eine Anrede als Herr oder Frau angeben muss. Außerdem wurde die Bahn zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von EUR 1.000,00 verurteilt.

Die Entscheidung betrifft nicht ausschließlich den Vertragsabschluss im Internet, dort sind aber natürlich etwaige Verstöße leichter auffindbar. Auch wenn es eine abschließende Klärung durch den BGH nicht gibt, ist im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Frankfurt damit zu rechnen, dass es häufiger zu vergleichbaren Verfahren kommt. Anbieter, die bislang nur die Möglichkeit eröffnet haben, in ihren Formularen zwischen der Anrede Herr oder Frau zu differenzieren, sollten entweder auf die Anrede verzichten oder zukünftig eine geschlechtsneutrale Anrede (zum Beispiel „Divers“) ergänzen.