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BGH, Urteil vom 29.05.2020 – V ZR 275/18 – “Geänderte Rechtsprechung zum Hausverbot“


Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 29.05.2020 (V ZR 275/18) seine Rechtsprechung zur Erteilung eines Hausverbots modifiziert und die Zulässigkeit von Hausverboten erheblich erweitert. Die Entscheidung ist insbesondere für Hausrechtsinhaber von Bedeutung, welche die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr eröffnet haben.

Die Beklagte betreibt eine Therme mit Saunabereich, die die Klägerin seit Jahren regelmäßig besucht. Am 12.02.2017 erteilte die Beklagte der Klägerin ein schriftlich vorbereitetes, unbefristetes Hausverbot für die von ihr betriebene Therme. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, das Hausverbot zurückzunehmen. Der Bundesgerichtshof entscheidet, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rücknahme des Hausverbots hat, da die Befugnis der Beklagten zur Erteilung eines Hausverbots für die von ihr betriebene Therme nicht von dem Vorliegen eines sachlichen Grundes abhängt. Die Beklagte ist als Betreiberin der Therme aufgrund ihres Hausrechts grundsätzlich befugt, gegenüber Besuchern ein Hausverbot auszusprechen. Das Hausrecht beruht auf dem Grundstückseigentum oder -besitz (§§ 858 ff., 903, 1004 BGB) und ermöglicht es seinem Inhaber, in der Regel frei darüber zu entscheiden, wem er Zutritt gestattet und wem er ihn verwehrt. In ihm kommt die aus der grundrechtlichen Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) fließende Befugnis des Eigentümers zum Ausdruck, mit der Sache grundsätzlich nach Belieben zu verfahren und andere von der Einwirkung auszuschließen (§ 903 S. 1 BGB). Darüber hinaus ist das Hausrecht Ausdruck der durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie, die die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben schützt. Dazu gehört, dass rechtlich erhebliche Willenserklärungen in der Regel keine Rechtfertigung bedürfen; das gilt in gleicher Weise für die Entscheidung, ob und in welchem Umfang einem Dritten der Zugang zu einer bestimmten Örtlichkeit gestattet wird (so BGH NJW 2012, 1725 Rn. 8).

Eine Einschränkung des Hausrechts der Beklagten dahingehend, dass ein von ihr ausgesprochenes Hausverbot eines sachlichen Grundes bedarf, ergibt sich auch nicht aus den mittelbar in das Zivilrecht einwirkenden Grundrechten, namentlich nicht aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können sich – außer durch vertragliche Bindungen und die hier nicht einschlägigen Benachteiligungsverbote aus § 19 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) – Einschränkungen bei der Ausübung des Hausrechts insbesondere daraus ergeben, dass der Hausrechtsinhaber die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr öffnet und dadurch seine Bereitschaft zu erkennen gibt, generell und unter Verzicht auf eine Prüfung im Einzelfall jedem den Zutritt zu gestatten, der sich im Rahmen des üblichen Verhaltens bewegt (BGH NJW 2006, 1054 Rn. 8 [Flughafen]; BGH NJW 2010, 534 Rn. 13 [Fußballstadion]; BGHZ 24, 39, 43 [Einkaufsmarkt]; BGH NJW-RR 1991, 1512 [Warenhaus]). Das schließt zwar auch in solchen Fällen nicht aus, dass der Berechtigte die Befugnis zum Aufenthalt nach außen hin erkennbar an rechtlich zulässige Bedingungen knüpft. Geschieht dies jedoch nicht oder sind die Bedingungen erfüllt, bedarf ein gegenüber einer bestimmten Person ausgesprochenes Verbot, die Örtlichkeit zu betreten, zumindest grundsätzlich eines sachlichen Grundes. In solchen Konstellationen tritt die Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) des Hausrechtsinhabers in ihrem Gewicht zurück und stehen die Grundrechte des Betroffenen, namentlich dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und das Gebot der Gleichbehandlung (Art. 3 GG), bei der gebotenen Abwägung einem willkürlichen Ausschluss entgegen (BGH, Urteil vom 30.10.2009 – V ZR 253/08 und BGH, Urteil vom 09.03.2012 – V ZR 115/11).

Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesgerichtshof nunmehr aber durch das Urteil vom 29.05.2020 – V ZR 275/18 – geändert. Der Bundesgerichtshof führt aus, seine bisherige Rechtsprechung bedürfe im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgericht zur mittelbaren Drittwirkung von Art. 3 Abs. 3 GG im Verhältnis zwischen Privaten (BVerfGE 148, 267) der Modifizierung. Danach folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG kein objektives Verfassungsprinzip, wonach Rechtsbeziehungen zwischen Privaten von diesen prinzipiell gleichheitsgerecht zu gestalten wären. Dahingehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung. Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie unter welchen Bedingungen Verträge abschließen will (BVerfGE 148, 267 Leitsatz 1 und Rn. 40). Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG jedoch für spezifische Konstellationen ergeben, etwa wenn der Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden, für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet (BVerfGE 1948, 267 Leitsatz 2 und Rn. 41). Indem ein Privater eine solche Veranstaltung ins Werk setzt, erwächst ihm von Verfassung wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung. Er darf seine aus dem Hausrecht – so wie in anderen Fällen möglicherweise aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit – resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu nutzen, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem solchen Ereignis auszuschließen (BVerfGE 1948, 267 Leitsatz 2 und Rn. 41). Nach diesen Grundsätzen bedarf die Erteilung eines Hausverbots nicht schon dann eines sachlichen Grundes, wenn der Hausrechtsinhaber die Örtlichkeit für den allgemeinen Publikumsverkehr ohne Ansehen der Person eröffnet, sondern nur unter der weiteren Voraussetzung, dass die Verweigerung des Zutritts für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. In diesem Fall greift die Wirkung von Art. 3 Abs. 1 GG zwischen dem Betreiber einer solchen Einrichtung und deren (potentiellen) Besuchern, Gästen oder Kunden über die in Art. 3 Abs. 3 GG und in den §§ 19 ff. AGG besonders geregelten Diskriminierungsverbote hinaus und stellt die Ausübung des Hausrechts durch den Veranstalter bzw. Betreiber in einen Zusammenhang mit dem Recht des Einzelnen auf Teilhabe am kulturellen Leben (BVerfGE 1948, 267 Rn. 42). Dem Betreiber einer Einrichtung, die erhebliche Bedeutung für das gesellschaftliche und kulturelle Leben hat, wird eine besondere rechtliche Verantwortung zugewiesen, die es ihm verbietet, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund auszuschließen. Welche Bedeutung der Zugang zu einer Einrichtung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat, ist daher nicht aus der Perspektive des einzelnen Besuchers zu beurteilen; vielmehr ist aus objektivierter Sicht desjenigen, der die Einrichtung dem allgemeinen Publikumsverkehr öffnet, zu fragen, welche Funktion die von ihm willentlich eröffnete und betriebene Einrichtung bei typisierender Betrachtung hat. Dies zeigt auch der von dem Bundesverfassungsgericht gezogene Vergleich zu anderen Fällen der mittelbaren Grundrechtswirkung, in denen insbesondere die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (BVerfGE 148, 267 Rn. 33), wie etwa in den Fällen des Monopols oder der strukturellen Überlegenheit.

Danach unterliegt die Beklagte in der Ausübung ihres Hausrechts keinen Einschränkungen aus Art. 3 Abs. 3 GG. Der Besuch einer Therme entscheidet nicht in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben; der private Betreiber einer Therme bedarf daher für die Erteilung eines Hausverbots gegenüber einem Gast keines sachlichen Grundes. Zwar handelt es sich bei einer Therme regelmäßig um eine Einrichtung, die aufgrund eigener Entscheidung des Betreibers einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet wird. Das Angebot des Betreibers einer Therme richtet sich üblicherweise an einen uneingeschränkten Besucher- und Kundenkreis; die Einrichtung ist für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet. Der Betreiber behält sich typischerweise nicht in jedem Einzelfall eine individuelle Entscheidung darüber vor, ob er demjenigen, der die Therme besuchen will, Einlass gewährt, sondern macht den Zutritt allein von der Entrichtung des Entgelts und davon abhängig, dass sich der Besucher an die für die Benutzung der Therme aufgestellten Regeln hält. Der Identität des einzelnen Besuches, die der Betreiber zumeist gar nicht erfährt, kommt regelmäßig keine Bedeutung zu. So liegt es auch hier. Dies folgt auch daraus, dass die Beklagte Einlasskarten verkauft, die nicht an eine bestimmte Person gebunden, sondern frei übertragbar sind. Eine Therme ist aber keine Einrichtung, die für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet (vgl. für ein Wellnesshotel BVerfG NJW 2019, 3769 Rn. 8). Aus der objektivierten Sicht des Betreibers ist eine Therme eine Einrichtung, die bei typisierender Betrachtung für die Gäste der Erholung und Entspannung und, soweit sie – wie hier – einen Saunabereich aufweist, auch der Ruhe und der Förderung der Gesundheit dient. Ungeachtet der unterschiedlichen Leistungsangebote verschiedener Thermen sind diese Leistungen prinzipiell austauschbar. Für den Gast kommt es typischerweise nicht darauf an, eine ganz bestimmte Therme besuchen zu können. Irrelevant war auch die Argumentation der Klägerin, sie habe die Therme der Beklagten zur gesellschaftlichen Zusammenkunft genutzt. Maßgeblich ist nämlich allein, für welche Art der Nutzung der Betreiber seine Einrichtung aus objektivierter Sicht willentlich geöffnet hat. Nur wenn der Private eine Einrichtung betreibt und für den allgemeinen Publikumsverkehr öffnet, die bei objektiv-typisierender Betrachtung erhebliche Bedeutung für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat, erscheint die Anwendung des Grundrechts aus Art. 3 Abs. 1 GG auf das Privatrechtsverhältnis zwischen dem Betreiber und seinen Kunden und die damit verbundene Einschränkung seines Hausrechts gerechtfertigt. Betreibt er hingegen eine Einrichtung, der eine solche Bedeutung objektiv nicht zukommt, kann ihm eine verfassungsrechtliche Bindung gegenüber dem einzelnen Kunden nicht dadurch erwachsen, dass die Einrichtung für dessen gesellschaftliches Leben subjektiv eine größere Bedeutung hat als ihr bei objektiv-typisierender Betrachtung zukommt. Die Beklagte hat auch keine Monopolstellung, aus der sich ebenfalls gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zu den Gästen ergeben könnten (vergleiche zu diesem Aspekt BVerfG NJW 2019, 3769 Rn. 8). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts befinden sich in einer Entfernung von 20 bzw. 30 km von der Therme der Beklagten weitere Bäder und Saunen. Dass die Therme der Beklagten am Wohnort der Klägerin liegt und somit für diese besonders einfach zu erreichen ist, begründet keine Monopolstellung der Beklagten.

Das Urteil dürfte große Bedeutung haben, denn es gilt natürlich nicht nur für Thermen, sondern für sämtliche dem allgemeinen Publikumsverkehr eröffneten Einrichtungen, die nicht in erheblichen Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheiden. Bei solchen Einrichtungen darf der Hausrechtsinhaber auch ohne sachlichen Grund Hausverbot erteilen.