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OLG Dresden, Urteil vom 21.10.2020, 5 U 1257/20 – “Flächenabweichung von mehr als 10 % ist nicht immer ein Mietmangel“


Grundsätzlich sind sowohl in der Gewerberaummiete als auch bei der Wohnraummiete Flächenabweichungen von mehr als 10 % als Mietmangel mit der Folge zu qualifizieren, dass der Mieter zur Minderung berechtigt ist. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 21.10.2020 – 5 U 1257/20 – zeigt jedoch, dass dies nicht ausnahmslos gilt.

Im Oktober 2017 unterschrieben die Mietvertragsparteien einen Mietvertrag über ein Ladengeschäft. Vereinbart wurde eine Miete von EUR 870,00 netto zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung. Eine Angabe der Größe des angemieteten Ladengeschäftes in Quadratmetern enthielt dieser Mietvertrag nicht. Aufgrund von noch zu erledigenden Restarbeiten im Objekt verständigten sich die Parteien danach auf eine Absenkung der Kaltmiete für das Ladengeschäft in den Monaten November und Dezember 2017 und unterzeichneten daraufhin einen lediglich in diesem Punkt veränderten, neuen Mietvertrag. Auf Wunsch der Krankenkassen und des Finanzamtes begehrte der Mieter danach vom Vermieter zum einen die Aufnahme der Mietfläche in den Vertrag und zum anderen bei der Miete einen Umsatzsteuerausweis. Der Vermieter kam diesem Wunsch nach. Die Parteien ersetzten den ursprünglichen Mietvertrag durch einen neuen Mietvertrag, der die Angabe enthielt, dass die Räume im Unter- und Erdgeschoss ca. 320 m² Nutzfläche und die Räume im Obergeschoss ca. 160 m² Nutzfläche hätten. Diese Angaben waren unrichtig, denn die Räume im Unter- und Erdgeschoss haben eine Fläche von 191,52 m², während die Räume im Obergeschoss eine Fläche von 111,83 m² aufweisen. Erst nachdem das Finanzamt Ende des Jahres 2018 auf Differenzen zwischen der Gesamtmiete des Objekts und der im Mietvertrag angegebenen Fläche aufmerksam machte, fiel die Abweichung auf. Der Mieter berief sich daraufhin auf einen Sachmangel und machte geltend, wegen der Abweichung der vereinbarten Mietfläche von der tatsächlichen Fläche um mehr als 10 % liege ein Mangel des Mietobjekts vor, welcher zu einer Überzahlung der Miete durch den Mieter geführt habe, sodass dem Mieter ein Rückzahlungsanspruch zustehe.

Das Oberlandesgericht Dresden entscheidet, dass kein Mangel der Mietsache vorliegt. Der Mieter berief sich zur Begründung der von ihm geltend gemachten Mangelhaftigkeit des Mietobjekts aufgrund der fehlerhaften Angabe der Mietfläche im Mietvertrag auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2004, 1947, 1948 f. zur Wohnraummiete und NJW 2005, 2152 f. zur Geschäftsraummiete), wonach bei einer erheblichen Abweichung der tatsächlichen Mietfläche von der vertraglich vereinbarten Mietfläche zulasten des Mieters, für welche bei einer Flächenabweichung von mehr als 10 % eine tatsächliche Vermutung spreche, ein Mietmangel im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB besteht, der zu einer entsprechenden Minderung der Miete führt. Vergleicht man die im Mietvertrag enthaltenen Angaben zur Mietfläche mit der tatsächlichen Mietfläche der vermieteten Räume, so liegt auch eine Abweichung zum Nachteil des Mieters um mehr als 10 % vor. Die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs findet allerdings nur dann Anwendung, wenn die Angabe der Mietfläche im Vertrag der vertraglichen Festlegung der Sollbeschaffenheit des Mietobjekts dient und nicht lediglich dessen Beschreibung (vgl. Guhling/Günter, Gewerberaummiete, § 536 BGB Rn. 142; BGH NJW 2011, 220; OLG Rostock NZM 2003, 25). Nur wenn die Flächenangabe im Mietvertrag Bestandteil des vom Vermieter zu erfüllenden Leistungsprogramms ist, kann die dahinter zurückbleibende tatsächliche Fläche zum Gewährleistungsrecht der Minderung führen. Ob die Angabe der Mietfläche im Vertrag die Sollbeschaffenheit vertraglich festlegen oder nur der Objektbeschreibung dienen soll, ist im Wege der Auslegung des Mietvertrags nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (vgl. Guhling/Günter, a.a.O.). Die Auslegung des streitgegenständlichen Mietvertrages ergibt, dass die darin enthaltenen Flächenangaben nicht zur Festlegung der Sollbeschaffenheit des Mietobjektes, sondern lediglich zu dessen Beschreibung dienen. Dies folgt aus dem zwischen den Parteien unstrittigen Hergang des Vertragsschlusses. Der ursprüngliche Mietvertrag enthielt keine Flächenangaben. Der neue Mietvertrag, der den alten Vertrag ersetzte, enthielt zwar Flächenangaben. Die Aufnahme der Flächenangaben erfolgte aber nicht zur Festlegung der Fläche des Mietobjekts, über welches bereits ein Vertrag ohne entsprechende Flächenangaben geschlossen worden war. Vielmehr wurden die Flächenangaben nur deshalb auf Wunsch des Mieters in den Vertrag aufgenommen, weil Dritte, nämlich Krankenkasse und das Finanzamt, wünschten, dass das Mietobjekt, über welches sich die Parteien längst geeinigt hatten, im Wege einer Flächenangabe nachträglich hinsichtlich seiner Größe konkretisiert wird. Es handelte sich deshalb um eine das Objekt beschreibende Flächenangabe, nicht aber um eine vertragliche Vereinbarung zur Mietgröße, welche für die Parteien beim eigentlichen Vertragsschluss unerheblich war. Ziel der Aufnahme der Größe der Fläche des Mietobjektes in den bereits bestehenden Mietvertrag war also die nachträgliche Beschreibung des Mietobjektes in Form einer Flächenangabe, welche allerdings misslang, weil offenbar irrtümlich die falsche Flächengröße angegeben wurde. Ein vertragliches Versprechen des Vermieters dahin, dass die angegebene Fläche tatsächlich erreicht werden würde (Sollbeschaffenheit), war damit nicht verbunden. Somit war der Mieter wegen der Flächenabweichung nicht zur Minderung der Miete berechtigt.