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OLG München, Urteil vom 07.04.2016 – 23 U 3162/15 – “Ein mündlicher Kündigungsverzicht, der über mehr als ein Jahr wirkt, bedarf der Schriftform


Das Oberlandesgericht München hat einen zwar skurrilen Fall entschieden, der aber von grundsätzlicher Bedeutung ist, denn er behandelt die Problematik eines mündlich vereinbarten, über mehrere Jahre wirkenden Kündigungsausschlusses. Solche Fallgestaltungen kommen nicht selten vor.

Die Parteien schließen einen Mietvertrag über Gewerberäume. Mietbeginn ist der 15.01.2014. Unter § 4 (Mietzeit) sind folgende Rubriken handschriftlich angekreuzt:

„wird auf unbestimmte Zeit geschlossen (unbefristet)“,

„die ordentliche Kündigung ist jederzeit“ sowie „mit einer Frist von … möglich.“

Handschriftlich ist eingefügt zwischen „von“ und „möglich“: „drei Monaten von Seiten des Mieters“.

Mit Schreiben vom 10.07.2014 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis ordentlich zum 31.12.2014 und erhebt Räumungsklage. Der Mieter räumt nicht und macht geltend, er habe vor Unterzeichnung des Mietvertrages deutlich gemacht, dass er den Laden nur unter der Voraussetzung anmieten werde, dass der Mietvertrag langfristig für die Dauer von mindestens 25 Jahren abgeschlossen werde. Bei einem Treffen vor Vertragsunterzeichnung habe die Rechtsanwältin des Vermieters erklärt, dass sie langjährige Anwältin sei und der Mieter, wenn er in einem geprüften Standard-Mietvertragsformular, wie dem vorliegenden, unter § 4 „Mietzeit“ das Kästchen „wird auf unbestimmte Zeit geschlossen“ ankreuze, das bedeuten würde, dass der Mieter so lange in dem Mietobjekt bleiben könne, wie er es wünsche, in diesem Fall auch die gewünschten 25 Jahre. Nach Abschluss des Mietvertrages habe der Vermieter bei mehreren Besuchen auch zugesichert, von seinem Kündigungsrecht für die zugesagten 25 Jahre keinen Gebrauch zu machen. Das Landgericht erhebt Beweis und vernimmt den Vermieter. Dieser sagt aus, er habe den Mietvertrag in der Weise ausgelegt, dass ein Kreuz bei der Rubrik „wird auf unbestimmte Zeit geschlossen“ eine Mietvertragsdauer von 5 Jahren mit einer Option auf weitere 5 Jahre bedeute. Aufgrund dieser Aussage weist das Landgericht München die Räumungsklage ab und führt aus, es sei davon überzeugt, dass der Vermieter in den Gesprächen mit dem Mieter Äußerungen hinsichtlich eines Kündigungsverzicht für den Zeitraum von 5 Jahren abgegeben habe. Die im Mietvertrag enthaltene doppelte Schriftformklausel (Änderung des Vertrags einschließlich einer Änderung der Schriftformklausel bedürfen der Schriftform) stehe dem nicht entgegen, da sie als Allgemeine Geschäftsbedingung einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht standhalte und unwirksam sei.

Die Rechtsmeinung des Landgerichts München ist abwegig falsch. Das Oberlandesgericht München hebt das Urteil auf und verurteilt den Mieter zur Räumung und Herausgabe. Das Oberlandesgericht München nimmt zutreffend an, dass das Mietverhältnis durch die Kündigung des Vermieters beendet wurde. Es liegt ein unbefristeter Mietvertrag vor, so dass der Vermieter diesen mit Schreiben vom 10.07.2014 wirksam kündigen konnte. Die Kündigung des Vermieters wurde damit gemäß § 580 a Abs. 2 BGB zum 31.03.2015 wirksam. Soweit in dem Kündigungsschreiben vom 10.07.2014 zum 31.12.2014 gekündigt wurde, war die Kündigungsfrist nicht zutreffend berechnet worden. Der dem Vermieter insoweit unterlaufene Irrtum bei der Berechnung der Kündigungsfrist ist jedoch unschädlich, die Erklärung wirkt zum zutreffenden Kündigungstermin. Die Kündigung war auch nicht wegen eines Kündigungsverzichtes des Vermieters unwirksam, da der Mieter nicht nachgewiesen hat, dass der Vermieter einen derartigen Verzicht erklärt hat. Aus dem schriftlichen Mietvertrag ergibt sich kein derartiger Kündigungsverzicht, vielmehr ist in Ziff. 4 des Mietvertrages geregelt, dass der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen wird und die ordentliche Kündigung für den Vermieter jederzeit möglich ist. Das Recht des Vermieters zur ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses wurde zwischen den Mietvertragsparteien auch nicht abbedungen. Ein mündlicher Kündigungsverzicht wurde nicht nachgewiesen. Wenn der Vermieter bei seiner Parteivernehmung im Räumungsrechtsstreit aussagte, er habe den Mietvertrag in der Weise ausgelegt, dass ein Kreuz bei der Rubrik „wird auf unbestimmte Zeit geschlossen“ eine Mietvertragsdauer von 5 Jahren mit einer Option auf weitere 5 Jahre bedeute, sei dies rechtlich irrelevant. Allein daraus, dass ein bestimmtes Rechtsverständnis besteht, ergibt sich kein zwingender Schluss darauf, dass diese Meinung auch tatsächlich geäußert wurde. Eine skurrile Rechtsauffassung des Vermieters, die eindeutig falsch ist, kann die Rechtslage nicht gestalten.

Von Bedeutung ist das Urteil des Oberlandesgerichts München deshalb, weil es sich anschließend mit der Frage befasst, wie der Sachverhalt rechtlich zu beurteilen sei, wenn ein mündlicher Kündigungsverzicht für die Dauer von 5 Jahren erklärt worden wäre. Zutreffend führt das Oberlandesgericht München aus, dass ein derartiger mündlicher Kündigungsverzicht für die Dauer von 5 Jahren wegen eines Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis gemäß §§ 550 S. 1, 126 BGB unwirksam wäre. Die mündliche Erklärung eines Kündigungsverzichts wäre in diesem Fall nicht schon wegen der im Mietvertrag geregelten doppelten Schriftformklausel unwirksam. Dieses konstitutive Schriftformerfordernis als Allgemeine Geschäftsbedingung hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB nicht stand und ist unwirksam. Ein mündlicher Kündigungsverzicht für 5 Jahre wäre jedoch im Hinblick auf §§ 550 S. 1, 126 BGB unwirksam. Das Schriftformerfordernis des § 550 BGB gilt gemäß § 578 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Abs. 1 BGB analog auch auf Mietverhältnisse für Gewerberäume. Ein über mehrere Jahre wirkender Kündigungsausschluss stellt einen wesentlichen Vertragsinhalt dar, der den Kernbereich des Mietvertrags betrifft. Dies gilt auch für eine einseitige Kündigungsverzichtserklärung des Vermieters. Der Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts für mehr als ein Jahr bedarf daher der Schriftform (BGH VIII ZR 164/58; OLG Hamburg, Urteil vom 05.10.2015, 4 U 54/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.10.2009, 24 U 51/09). Die Nichteinhaltung der Schriftform steht auch bei dieser Fallkonstellation dem durch § 550 BGB gewährleisteten Wissensbedarf des Grundstückserwerbers entgegen. Demzufolge würde vorliegend die fehlende Schriftform zur Unwirksamkeit des Kündigungsverzichts führen. Gemäß § 550 S. 1 BGB würde daher der Vertrag weiterhin unbefristet gelten und wäre für den Vermieter nach den gesetzlichen Vorschriften ordentlich kündbar.

Die Kündigung des Vermieters wäre in diesem Fall auch nicht treuwidrig gemäß § 242 BGB. Er stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Vermieter von seinem vertraglich eingeräumten Recht zur Beendigung des Mietvertrages Gebrauch macht. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf einen Formverstoß nur in Ausnahmefällen beim Vorliegen ganz besonderer Umstände bejaht werden. Sie kommt lediglich in Betracht, wenn die Nichtigkeit des Vertrages zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führte. Dies wäre der Fall, wenn der eine Vertragsteil den anderen arglistig oder sonst schuldhaft von der Beobachtung der Formvorschrift abgehalten oder sich anderweitig einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn bei Formnichtigkeit des Vertrags die Existenz des Vertragspartners bedroht wäre (BGH, Urteil vom 2.01.1990, VIII ZR 296/88). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Eine Berufung auf den Formmangel wäre auch nicht wegen einer Existenzgefahr für den Mieter treuwidrig. Soweit der Mieter geltend macht, im Vertrauen auf eine lange Laufzeit des Mietvertrages bereits hohe Investitionen von EUR 200.000,00 getätigt zu haben, führt dies nicht zu der Annahme einer Treuwidrigkeit. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass derjenige, der Investitionen im Hinblick auf lediglich gemietete Räume tätigt, grundsätzlich das Risiko trägt, dass sich seine Aufwendungen im Falle einer berechtigten Kündigung durch den Vermieter ganz oder teilweise als wirtschaftlich sinnlos erweisen (OLG Köln, Urteil vom 12.06.2001, 3 U 172/00). Demzufolge wäre selbst bei Annahme eines erklärten Kündigungsverzichtes von 5 Jahren durch den Vermieter eine Kündigung unter Berufung auf den Schriftformmangel gemäß § 550 S. 1 BGB nicht treuwidrig gemäß § 242 BGB.