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BGH, Urteil vom 05.04.2017 – IV ZR 437/15 – Das Geschäft mit dem Leben


Der Kläger begehrt Schadensersatz wegen der angeblichen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit dem Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Der Kläger zeichnete im November 2004 eine Kapitallebensversicherung mit einer Laufzeit von zwölf Jahren. Die Beiträge von insgesamt EUR 50.000,00 wurden in einen Anlagestock investiert, dessen Wertentwicklung die Höhe des Auszahlungslaufzeitendes bestimmen sollte, wobei der Kläger die Wahl zwischen zwei vorgegebenen Fonds hatte. Er entschied sich für einen Fonds, der US-amerikanische Risikolebensversicherungen aufgrund sogenannter Lebenserwartungsgutachten aufkaufte. Nach dem Vertrag sollte der Kläger im Erlebensfall bei Vertragsende den Gegenwert der Vorteile ausgezahlt erhalten, während für den Todesfall ein Betrag von 60 % der Gesamtbeitragssumme garantiert worden ist.

Vor der Zeichnung ist ein Beratungsgespräch mit einem Mitarbeiter einer von der Beklagten unabhängigen Aktiengesellschaft (künftig: AG) vorausgegangen. Dieser übergab ein sogenanntes „fact sheet“, eine Beschreibung der fondsgebundenen Lebensversicherung, eine Broschüre und eine Kundenpräsentation. Der Kläger entnahm zudem den ihm jährlich übersandten Anlageberichten, dass sich der Fonds nicht wie erwartet entwickelte. Denn die in den erworbenen Lebensversicherungen versicherten Personen in den USA lebten länger als in den Gutachten prognostiziert. Es wurde daher zum 31.12.2010 eine Neubewertung der Policen vorgenommen. Ende Dezember 2012 betrug der Anlagewert nur noch EUR 15.589,04.

Der Kläger ist der Ansicht, dass er unzureichend und fehlerhaft über das Anlageprodukt mit dem erheblichen Verlustrisiko aufgeklärt worden ist. Er behauptet, dass er die Anlage bei korrekter Aufklärung nicht gezeichnet hätte und ihm Zinsen aus einer anderen Kapitallebensversicherung entgangen seien. Er verlangt deshalb die Rückzahlung der geleisteten Versicherungsbeiträge und 4 % Zinsen als entgangenen Gewinn, Verzugszinsen sowie Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Während die beiden ersten Instanzen dem Kläger Recht gegeben haben, hatte die Revision vor dem Bundesgerichtshof Erfolg.

Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich bei dem Erwerb der streitgegenständlichen Lebensversicherung durch den Kläger um ein Kapitalanlagegeschäft. Demnach musste die Beklagte bereits aufgrund älterer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (III ZR 158/97) mit einer Anwendung der Kapitalanlagevorschriften und entsprechend weitergehenden Aufklärungspflichten rechnen.

Die Vorinstanzen haben jedoch zu Unrecht eine der Beklagten zuzurechnende Aufklärungspflichtverletzung bejaht. Das Verhalten des Mitarbeiters der AG kann zwar im Grundsatz nach § 278 BGB dem Versicherer und damit der Beklagten zugerechnet werden. Das setzt aber voraus, dass der Vermittler zugleich Aufgaben, die typischerweise dem Versicherer obliegen, mit dessen Wissen und Wollen übernimmt und damit in dessen Pflichtenkreis tätig wird. Hierzu fehlen aber Feststellungen der Vorinstanzen. Zu den originären Pflichten des Anbieters eines Kapitalanlageproduktes gehört eine richtige und vollständige Information über das Produkt. Wenn schriftliche Unterlagen eine ausreichende Darstellung der Funktion des Produktes und der mit ihm verbundenen Chancen und Risiken enthielten, kann ein bloßes Unterlassen weiterer bewertender Hinweise keine Verletzung der Aufklärungspflicht der Beklagten begründen. Insbesondere wurde nicht festgestellt, dass der Mitarbeiter der AG in einem Strukturvertrieb tätig war, in dem die Beklagte ihre Versicherungen unter Verzicht auf ein eigenes Vertriebssystem veräußerte.

Eine Pflichtverletzung des Mitarbeiters der AG durch eine wegen unterlassener Risikohinweise sowie der Unvereinbarkeit von Anlageziel und Anlageeigenschaften fehlerhafte Produktempfehlung wäre nur dann im Pflichtenkreis der Beklagten erfolgt, wenn diese nicht nur die Aufklärung über ihr angebotenes Produkt, sondern darüber hinaus eine anlage- und anlegergerechte Beratung aufgrund eines Anlageberatungsvertrages geschuldet hätte. Auch dies wurde von den Vorinstanzen nicht festgestellt. Vielmehr sprechen die Umstände dafür, dass es sich bei dem Mitarbeiter die AG um einen vom Kläger beauftragten Berater handelte, der nicht im Lager der Beklagten stand sondern allein die Aufgabe hatte, den Kläger im Hinblick auf verschiedene alternative Anlagemöglichkeiten und nicht nur im Hinblick auf den möglichen Abschluss einer Lebensversicherung zu beraten.

Der Bundesgerichtshof hob daher die Entscheidung des Berufungsgerichtes auf und hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit die entsprechenden Feststellungen getroffen werden können.

Nimmt der Kapitalanleger den Anbieter in Anspruch und hat dieser vor Zeichnung keinen direkten Kontakt mit dem Anbieter sondern nur mit einem Dritten, ist sorgfältig zu prüfen, ob das Handeln dieses Dritten dem Anbieter zuzurechnen ist. Denn für Pflichtverletzungen Dritter besteht eine Haftungsgrundlage nur bei Zurechnung. Dass die Gerichte diese feine Abgrenzung ebenfalls nicht immer vornehmen und das Handeln Dritter ohne Grundlage zurechnen, zeigt die Entscheidung des Bundesgerichtshofes.