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BGH, Urteil vom 08.04.2020 – XII ZR 120/18 – “Auslegung der Betriebskostenumlage bei einer Individualvereinbarung


Mit Urteil vom 08.04.2020 – XII ZR 120/18 – befasste sich der Bundesgerichtshof mit der Frage, ob eine einzelvertragliche Vereinbarung, wonach der Mieter sämtliche Betriebskosten zu tragen hat, so auszulegen ist, dass damit alle in § 27 II. BV i.V.m. Anl. 3 bzw. in § 2 Betriebskostenverordnung genannten Kostenarten umgelegt sind. Zwar bejaht der Bundesgerichtshof diese Frage, betont aber, dass dies nur für Individualvereinbarungen, nicht aber für Allgemeine Geschäftsbedingungen gilt.

Die Parteien eines Gewerbemietvertrages stritten darüber, ob der Mieter die Grundsteuer anteilig tragen muss. Mietgegenstand war ein bebautes Grundstück zum Betrieb eines Supermarktes mit Getränkehandel und Parkplätzen. Zu den Betriebskosten enthält der Vertrag folgende Regelung:

„Sämtliche Betriebskosten werden von dem Mieter getragen. Hierunter fallen insbesondere die Kosten der Be- und Entwässerung sowie der Heizungs- einschließlich Zählermiete und Wartungskosten …“.

In den jährlichen Betriebskostenabrechnungen ließ der Vermieter die für das Mietobjekt anfallende Grundsteuer zunächst unberücksichtigt. Nach zweieinhalb Jahrzehnten forderte er erstmals Erstattung der Grundsteuer.

Der Bundesgerichtshof geht aufgrund der Feststellungen der Instanzgerichte davon aus, dass es sich bei der mietvertraglichen Regelung zur Tragung der Betriebskosten um eine im Einzelnen ausgehandelte Individualvereinbarung handelt. Es liegen also keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen vor, die einer Inhaltskontrolle unterliegen. Allerdings muss auch die Individualvereinbarung wie jede schuldrechtliche Vereinbarung bestimmt oder zumindest bestimmbar sein, um wirksam zu sein (BGH NJW 2013, 3361 Rn. 21; Guhling/Günter/Both Gewerberaummiete § 556 BGB Rn. 12). Weitergehende Anforderungen an die Transparenz einer individualvertraglichen Betriebskostenvereinbarung bestehen hingegen nicht, anders als bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wo es wegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB einer ausdrücklichen, inhaltlich bestimmten Regelung bedarf, damit der Mieter sich zumindest ein grobes Bild davon machen kann, welche zusätzlichen Kosten auf ihn zukommen können (BGH NJW 2014, 3722 Rn. 25 und BGH NJW-RR 2006, 84, 85). Denn bei einer einzelvertraglichen Regelung bedarf keine Vertragspartei des Schutzes dafür, dass ihr mittels vorformulierter Vertragsbedingungen ihrem Umfang nach nicht durchschaubare Pflichten auferlegt werden und auf diese Weise die Entschließungsfreiheit beim Abschluss des Vertrags eingeschränkt wird.

Ob eine Betriebskostenart durch eine entsprechende Individualvereinbarung auf den Mieter umgelegt ist, ist durch Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Während bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine objektive, nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung geboten ist (BGH NJW-RR 2016, 572 Rn. 10), ist bei der Auslegung von einzelvertraglichen Vereinbarungen nach §§ 133, 157 BGB der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei der Willenserforschung sind aber auch der mit der Absprache verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können (BGHZ 184, 128). Im konkreten Fall stellt der Bundesgerichtshof insbesondere auf den Begriff der „Betriebskosten“ ab und meint, wenn ein von den Vertragsparteien verwendeter Rechtsbegriff wie hier gesetzlich definiert ist, dann könne für die Auslegung regelmäßig auf diese Definition zurückgegriffen werden, wenn sich kein übereinstimmendes abweichendes Begriffsverständnis der Parteien feststellen lässt (so BGHZ 183, 299). Denn eine solche gesetzliche Definition ist geeignet, die fachsprachliche Bedeutung eines Begriffs im Zusammenhang mit der Regelung rechtlicher Beziehungen zu umschreiben. Ohne Auswirkung ist insoweit grundsätzlich, ob die die Definition enthaltende Gesetzesbestimmung auf den Vertrag zur Anwendung kommt. Daher hat es der Bundesgerichtshof als zulässig erachtet, für die Auslegung des in Gewerberaummietverträgen enthaltenen Begriffs der „Verwaltungskosten“ auf die in § 1 Abs. 2 Nr. 1 Betriebskostenverordnung enthaltene Definition zurückzugreifen, obwohl diese Bestimmung für die Gewerberaummiete nicht einschlägig ist (BGHZ 183, 299). Nicht anders verhält es sich im Ergebnis bei der Auslegung des Begriffs der „Betriebskosten“. Dieser ist seit vielen Jahren durch Rechtsverordnung und später durch Gesetz definiert. Wie der Bundesgerichtshof für die Wohnraummiete bereits entschieden hat, ist der in einem Mietvertrag verwendete Begriff der „Betriebskosten“ mit Blick auf diese Gesetzeslage ohne weiteres in dem in den gesetzlichen Bestimmungen niedergelegten Sinne zu verstehen (BGH NJW 2016, 1308 Rn. 15 f.). Obwohl § 556 BGB nicht auf Gewerberaummietverhältnisse anwendbar ist, gilt für diese das gleiche, sodass auch dort die gesetzliche Definition zur Beantwortung der Frage herangezogen werden kann, welchen Bedeutungsgehalt der in einem Mietvertrag verwendete Begriff „Betriebskosten“ hat (Guhling/Günter/Both Gewerberaummiete § 556 BGB Rn. 20). Dem steht nicht entgegen, dass im Bereich der Gewerberaummiete auch Kostenpositionen auf den Mieter umgelegt werden können, die im Katalog des § 2 Betriebskostenverordnung nicht aufgeführt sind (BGHZ 183, 299). In Anbetracht dieses Wortsinns fehlt es einer Vereinbarung, wonach der Mieter sämtliche Betriebskosten zu tragen hat, auch im Bereich der Gewerberaummiete nicht an der für eine Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB erforderlichen Bestimmbarkeit, ohne dass es einer Bezugnahme auf die gesetzlichen Normen oder der Aufzählung der einzelnen Kostenpositionen bedarf. Vielmehr erfasst eine solche Regelung dann, wenn sich kein übereinstimmendes abweichendes Begriffsverständnis der Vertragsparteien feststellen lässt, alle zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in die gesetzliche Definition – § 2 II. BV i.V.m. Anl. 3 im entschiedenen Fall, bei jüngeren Mietverträgen § 2 Betriebskostenverordnung – einbezogenen Kostenarten, sodass in der dem Bundesgerichtshof vorliegenden Sache die Grundsteuer vom Wortsinn der vertraglichen Regelung erfasst sein kann. Der Bundesgerichtshof hat allerdings nicht abschließend entschieden sondern dem Berufungsgericht die „Hausaufgabe“ erteilt, die erforderliche Auslegung des Mietvertrags unter Beachtung der Rechtsausführungen des Bundesgerichtshofs vorzunehmen. Dabei hat der Bundesgerichtshof das Berufungsgericht darauf hingewiesen, es möge in den Blick nehmen, dass das dem Vertragsschluss nachfolgende Verhalten der Parteien – die jahrzehntelange Nichtumlage der Grundsteuer – unter Umständen Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten bei Vertragsschluss haben kann (BGH NJW 2008, 283 Rn. 16 m.w.N.). Allerdings werde – so der Bundesgerichtshof – aus der bloßen jahrzehntelangen Nichtabrechnung einer ursprünglich als auf den Mieter umgelegt vereinbarten Kostenposition nur bei Hinzutreten besonderer Umstände die konkludente Abänderung der Umlagevereinbarung abgeleitet werden können (BGHZ 184, 117).

Die eigentlich spannende Frage hat der Bundesgerichtshof nicht beantwortet, weil er es nicht musste. Für die Praxis viel bedeutender ist nämlich, ob die Umlage „sämtlicher Betriebskosten“ in einem Formularvertrag genügt, damit die in § 2 Betriebskostenverordnung genannten Kostenarten den Mietern anteilig überbürdet werden können. Da der Bundesgerichtshof aber scharf zwischen Individualvereinbarung und Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgrenzt und auch noch expressis verbis erklärt, bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen bedürfe es „einer ausdrücklichen, inhaltlich bestimmten Regelung“, spricht doch einiges dafür, dass man den Bundesgerichtshof so verstehen kann, dass bei einem Formularvertrag die Regelung nicht ausreichend ist, wonach der Mieter sämtliche Betriebskosten tragen solle, um die in § 2 Betriebskostenverordnung genannten Kostenarten als umgelegt anzusehen.