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OLG Dresden, Urteil vom 08.05.2024 – 5 U 1856/23 – „Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Umsatzmiete?“
Mit Urteil vom 08.05.2024 – 5 U 1856/23 – befasste sich das Oberlandesgericht Dresden mit den Fragen, ob durch die Vereinbarung einer Umsatzmiete eine Betriebspflicht konkludent vereinbart wurde und ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Vermieter im Falle der Vereinbarung einer Umsatzmiete vom Mieter die Zahlung einer fiktiven Umsatzmiete verlangen kann, wenn der Mieter keinen Umsatz erzielt hat.
Die Klägerin, eine Stadt, vermietete an die Mieterin einen Pavillon zum Betrieb einer gastronomischen Einrichtung sowie eines Kiosks. In dem Pavillon befanden sich auch nicht zur Mietsache gehörende Räume, in denen an die Bergbaugeschichte der klagenden Stadt erinnert wurde. Vereinbart war eine monatliche Nettokaltmiete von Euro 300,00 zzgl. 2 % vom Nettoumsatz. Bis zum Oktober 2019 erwirtschaftete die Mieterin in den angemieteten Gewerberäume Nettoumsatz und zahlte davon 2 % an die Klägerin. Ab dem November 2019 erzielte die Beklagte in den angemieteten Geschäftsräumen keinen Umsatz mehr. Die Klägerin fordert von der Beklagten für den Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2021 rückständige, fiktiv berechnete Umsatzmiete. Dabei bezog sich die Klägerin auf eine in den Jahren 2012 bis 2016 durchschnittlich von der Beklagten gezahlte Umsatzmiete und zog von dem sich daraus ergebenden Betrag die von der Beklagten tatsächlich im Zeitraum von Januar 2018 bis zum Oktober 2019 gezahlte Umsatzmiete ab.
Das Oberlandesgericht Dresden führt zunächst aus, dass die Mietvertragsparteien keine Betriebspflicht vereinbarten. Der Mietvertrag enthält weder eine ausdrückliche Vereinbarung noch eine konkludente Absprache über eine Betriebspflicht. Wegen des erheblichen Eingriffes in die Rechtsposition des Mieters sind an eine derartige konkludente Vereinbarung strenge Anforderungen zu stellen, welche erfordern, dass ein tatsächliches Verhalten der Mietvertragsparteien vorliegen muss, das einen zweifelsfreien Schluss auf einen auf die Begründung einer Betriebspflicht gerichteten Rechtsbindungswillen zulässt (vgl. Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 3. Auflage, Anhang 1 zu § 535 BGB Rn. 53). Solches lässt sich für den Mietvertrag zwischen den Parteien nicht feststellen. Die Vereinbarung einer Umsatzmiete genügt für die Annahme der konkludenten Vereinbarung einer Betriebspflicht nicht (BGH, Urteil vom 04.04.1979, VIII ZR 118/78, NJW 1979, 2351, 2352).
Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Vermieterin von der Beklagten aufgrund der mietvertraglichen Regelung zur Umsatzmiete die Zahlung fiktiver Umsatzmiete verlangen kann, wenn die Mieterin keinen Nettoumsatz erzielt hat, ist durch Auslegung des Mietvertrags gemäß §§ 133, 157 BGB zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.1979, aaO). Die Auslegung des Mietvertrags gemäß §§ 133, 157 BGB ergibt, dass die Umsatzmiete im Sinne eines Anteils von 2 % vom Nettoumsatz von der Mieterin nur dann geschuldet ist, wenn die Mieterin einen Nettoumsatz erzielt hat. Zu den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, dass in erster Linie der von den Parteien gewählte Wortlaut und der dem Wortlaut zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 15.01.2013, XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519). Der übereinstimmende Parteiwille geht dabei aber dem Wortlaut und jeder anderen Interpretation vor (vgl. BGH, Beschluss vom 30.04.2014, XII ZR 124/12). Die Auslegung des Vertrags soll nach § 157 BGB so erfolgen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Wesentlich ist dabei die Vermeidung von Widersprüchen innerhalb des Vertragswerks und die Ermöglichung eines gerechten Interessenausgleichs zwischen den Vertragsparteien. Nach diesen Grundsätzen ist eine Umsatzmiete zwischen den Vertragsparteien nur dann geschuldet, wenn die Mieterin durch den Betrieb der gastronomischen Einrichtung in den Mieträumen tatsächlich einen Nettoumsatz erzielt. Zunächst spricht der Wortlaut des Mietvertrags gegen die Annahme der Vereinbarung einer fiktiven Umsatzmiete. Darin vereinbaren die Parteien die Zahlung eines festen Mietbetrages von Euro 300,00 und zusätzlich eines Anteils von 2 % vom Nettoumsatz, also von einem tatsächlich erzielten Umsatz. Für die Vereinbarung einer Zahlungspflicht der Beklagten auch in dem Falle, in dem die Beklagte keinen Umsatz erzielt, gibt es im Wortlaut der Regelung keinen Anhaltspunkt. Nun hat der Bundesgerichtshof aber im Urteil vom 04.04.1979 (aaO) ausgeführt, im Falle der Vereinbarung einer Umsatzmiete sei „grundsätzlich“ der Betrag als geschuldet anzusehen, der als Miete in Betracht komme, wenn der Mieter die Räume weiterhin zu dem im Vertrag vorgesehenen Zweck genutzt hätte. Diesen Ausführungen liegt aber offenbar die Annahme zugrunde, dass die Parteien des konkreten Mietvertrages die in die vertragliche Vereinbarung eingeflossene gemeinschaftliche Überzeugung hatten, dass das Mietobjekt – trotz fehlender Betriebspflicht – regelmäßig vom Mieter zum vertraglich vereinbarten Zweck genutzt und dabei ein hinreichend konkretisierter Umsatz erzielt werde. In dem der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 04.04.1979 zugrunde liegenden Sachverhalt waren diese Voraussetzungen erfüllt. Es ging um einen befristeten Mietvertrag für Räume zum Betrieb einer Apotheke, in welchem eine Umsatzmiete vereinbart war. Nachdem die Ehefrau des Mieters auf dem Nachbargrundstück eine Apotheke eröffnet hatte, stellte der Mieter den Betrieb der Apotheke in den gemieteten Räumen ein und kündigte – unwirksam – den befristeten Mietvertrag. Im Urteil vom 04.04.1979 führte der Bundesgerichtshof aus, dass der befristete Mietvertrag fortbestehe und der Mieter, auch wenn keine Betriebspflicht vereinbart sei, zur Zahlung einer Miete verpflichtet sei, welche durch Auslegung des Vertrages zu ermitteln sei. Dabei sei im Falle der Vereinbarung einer Umsatzmiete ein Betrag als geschuldet anzusehen, der als Miete in Betracht komme, wenn der Mieter die Räume weiterhin zu dem im Vertrag vorgesehenen Zweck genutzt hätte. Eine Beschränkung des Vermieters auf die vereinbarte Mindestmiete sei nicht angezeigt, weil diese regelmäßig nur dazu diene, den Vermieter dagegen zu sichern, dass die Miete unter den Betrag absinkt, der benötigt werde, die Kosten der Mieträume zu decken. Diese Überlegungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 04.04.1979 konnten nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden aber nicht auf die streitgegenständliche Sache übertragen werden, weil sich der vom Oberlandesgericht Dresden auszulegende Mietvertrag wesentlich von demjenigen Mietvertrag unterschied, welcher der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 04.04.1979 zugrunde lag. In Bezug auf den Mietvertrag, welchen der Bundesgerichtshof auszulegen hatte, konnte von einer gemeinsamen Erwartung der Mietvertragsparteien dahin, dass der Mieter die Räume auch ohne Vereinbarung einer Betriebspflicht regelmäßig nutzen werde, ausgegangen werden, weil die Räume zum Betrieb einer Apotheke vermietet wurden. Apotheken obliegt nämlich gemäß § 1 Abs. 1 Apothekengesetz die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Wenn über die Apotheke die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln abgesichert werden soll, dann besteht die berechtigte Erwartung der Mietvertragsparteien, dass der die Apothekenräume mietende Apotheker die Apotheke regelmäßig jedenfalls zur Erfüllung dieser Aufgabe betreiben wird. Darüber hinaus werden für Apotheken regelmäßig Erfahrungswerte bestehen, welcher Umsatz an einem bestimmten Standort mit der Apotheke generiert werden kann. Gänzlich anders lag es nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden hingegen bei dem streitgegenständlichen Vertrag. Hier besteht aufgrund der besonderen Umstände im Hinblick auf das Mietobjekt und den Vertragsschluss keine Grundlage für eine berechtigte Erwartung der Mietvertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, dass es zur regelmäßigen Öffnung des Mietobjekts und zur Erzielung hinreichend bestimmter Umsätze kommen werde. In Bezug auf die Gaststätte besteht nicht nur kein öffentlich-rechtlicher Versorgungsauftrag für die Bevölkerung. Vielmehr leitete das Oberlandesgericht Dresden aus den tatsächlichen Umständen zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses ab, dass es keinerlei Umstände gab, die eine Erwartung der Parteien hätten rechtfertigen können, dass die Mieterin während der Vertragslaufzeit in der Lage sein werde, einen einigermaßen konkretisierten Umsatz zu erzielen. Im Ergebnis schuldet die Mieterin für den streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2018 bis Dezember 2021 daher nur den Anteil von 2 % am bis Oktober 2019 tatsächlich erzielten Nettoumsatz. Der Vermieterin steht kein Anspruch auf Zahlung einer fiktiven Umsatzmiete zu.