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BGH, Urteil vom 12.07.2017 – XII ZR 26/16 566 Abs. 1 BGB (Kauf bricht nicht Miete) ist entsprechend anwendbar, wenn die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung und im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des Eigentümers erfolgt


Mit Urteil vom 12.07.2017 – XII ZR 26/16 – hat der Bundesgerichtshof eine für die Praxis relevante Entscheidung getroffen und eine analoge Anwendbarkeit des Grundsatzes Kauf bricht nicht Miete auf einen Fall bejaht, in dem Vermieter und Veräußerer zwar nicht identisch waren, aber die Mietverträge im alleinigen wirtschaftlichen Interesse des mit dem Vermieter nicht identischen Eigentümers geschlossen wurden.

Die Klägerin verlangt von dem Mieter nach dem Erwerb eines Grundstücks die Räumung und Herausgabe von darauf befindlichen gemieteten Gewerberäumen. Der Mieter mietete von der Handels GmbH mit Vertrag vom 27.05.2003 Räume im 4. Obergeschoss und mit Vertrag vom 05.06.2008 Räume im 5. Obergeschoss einer gewerblich genutzten Immobilie. Die Verträge sahen jeweils eine feste Laufzeit von zunächst 5 Jahren vor und enthielten beide eine Option zur mehrfachen Verlängerung der Mietzeit um jeweils weitere 5 Jahre, die der Mieter ausgeübt hat. Eigentümer der Immobilie war zu diesem Zeitpunkt die Grundstücks GmbH. Mit notariellem Kaufvertrag vom 26.04.2011 erwarb die Klägerin die Immobilie von der Grundstücks GmbH. In § 3 des Kaufvertrags übernahm die Verkäuferin die Garantie dafür, dass die dem Kaufvertrag beigefügte Mieterliste richtig und vollständig ist, keine Mietverträge gekündigt sind und keine rückständigen Mietforderungen bestehen sowie eine Jahresnettokaltmiete in Höhe von ca. EUR 260.000 wirksam vereinbart ist. In § 4 des Kaufvertrags ist geregelt, dass die Verkäuferin mit Wirkung ab dem Übergabestichtag sämtliche Rechte und Pflichten aus bestehenden Mietverträgen auf den Käufer überträgt. Im August 2011 wurde die Klägerin als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Am 03.09.2013 und 30.10.2013 sprach die Klägerin die ordentliche Kündigung etwaiger Mietverhältnisse mit dem Mieter aus. Die Klage auf Räumung und Herausgabe hat jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin ist nämlich in entsprechender Anwendung von § 566 Abs. 1 BGB in die befristeten, noch nicht abgelaufenen Mietverträge eingetreten und kann deshalb nicht Räumung und Herausgabe verlangen. 566 Abs. 1 BGB ordnet an, dass im Falle der Veräußerung der Mietsache durch den Vermieter an einen Dritten der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Vorliegend findet § 566 Abs. 1 BGB aber keine unmittelbare Anwendung, weil es an der hierfür notwendigen Personenidentität zwischen Veräußerer und Vermieter fehlt. Gemäß §§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 2 S. 1 BGB tritt der Erwerber eines gewerblich vermieteten Hausgrundstücks anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein. Mit dem Eigentumsübergang entsteht ein neues Mietverhältnis zwischen dem Erwerber des Grundstücks und dem Mieter mit dem gleichen Inhalt, mit dem es zuvor mit dem Veräußerer bestanden hat (BGH NJW 2012, 3032 Rn. 25 mwN). Nach seinem Wortlaut findet § 566 Abs. 1 BGB allerdings nur dann Anwendung, wenn das vermietete Grundstück durch den Vermieter veräußert wird. § 566 Abs. 1 BGB ist deshalb grundsätzlich nur bei Identität zwischen Vermieter und Veräußerer unmittelbar anwendbar (BGH NJW-RR 2004, 657, 658). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Vermieter der Räumlichkeiten war allein die Handels GmbH. Hingegen hat die Grundstücks GmbH das Grundstück an die Klägerin veräußert. Selbst wenn zwischen beiden Gesellschaften persönliche Verflechtungen bestanden haben sollten, stellten beide Gesellschaften selbstständige Rechtssubjekte dar, so dass schon die nach dem Wortlaut des § 566 Abs. 1 BGB erforderliche Personenidentität zwischen Vermieter und Veräußerer nicht gegeben ist. Hinzu kommt, dass § 566 Abs. 1 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darüber hinaus auch verlangt, dass der Vermieter und Veräußerer zugleich Eigentümer des vermieteten Grundstücks ist (vgl. BGH NJW 2008, 2181 Rn. 22). 566 Abs. 1 BGB ist im vorliegenden Fall aber entsprechend anwendbar. Ob § 566 Abs. 1 BGB bei fehlender Identität zwischen Eigentümer, Veräußerer und Vermieter entsprechend angewendet werden kann, ist allerdings umstritten. Teilweise wird eine entsprechende Anwendung des § 566 BGB bei Nichterfüllung des Identitätserfordernisses grundsätzlich abgelehnt (so etwa Lindner-Figura u. a., Geschäftsraummiete, § 566 BGB Rn. 135). Die überwiegende Auffassung hält dagegen eine analoge Anwendung der Vorschrift jedenfalls dann für geboten, wenn nach den Umständen des Falls davon ausgegangen werden kann, dass die Vermietung mit Zustimmung des Eigentümers erfolgt ist, etwa wenn der Mietvertrag vom Hausverwalter im eigenen Namen, aber für Rechnung des früheren Grundstückseigentümers abgeschlossen wurde (so etwa Ghassemi-Tabar u. a., Gewerberaummiete, § 566 BGB Rn. 53; Wolff/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, Rn. 1354). Der Bundesgerichtshof hat ursprünglich an dem Identitätserfordernis festgehalten und eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB abgelehnt (BGH NZM 2004, 300 f. und BGH NJW 1989, 2053). Jetzt ist der Bundesgerichtshof aber der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB jedenfalls dann vorliegen, wenn die Vermietung des veräußerten Grundstücks mit Zustimmung des Eigentümers und in dessen alleinigem wirtschaftlichen Interesse erfolgt und der Vermieter kein eigenes Interesse am Fortbestand des Mietverhältnisses hat. In diesem Fall ist nicht nur eine planwidrige Regelungslücke gegeben, sondern der zur Beurteilung stehende Sachverhalt ist auch mit dem vergleichbar, den der Gesetzgeber geregelt hat. Eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes liegt vor. Das Gesetz ist unvollständig. Aus dem Wortlaut des § 566 Abs. 1 BGB ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 566 Abs. 1 BGB eine abschließende Regelung dahingehend treffen wollte, den Mieter nur dann bei einem Eigentumswechsel an der Mietsache zu schützen, wenn die Identität zwischen Vermieter und Veräußerer gewahrt ist. Durch die Einführung des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ in das Bürgerliche Gesetzbuch, in Kraft getreten am 01.01.1900, wollte der historische Gesetzgeber vornehmlich Mieter von Gewerberäumen und Pächter von Landgütern und Gewerbebetrieben umfassend davor schützen, bei einer Veräußerung des Grundstücks ihren Besitz an dem Miet- oder Pachtobjekt zu verlieren. Dem Mietverhältnis wurde für den Fall der Veräußerung des Mietgrundstücks eine gleichsam dingliche Wirkung (wie beispielsweise bei einer Hypothek) beigelegt, indem sie mit dem Übergang des Eigentums am vermieteten Grundstück auf den Erwerber auch die Vermieterrechte und -pflichten auf diesen übergehen lässt (BGH NJW 1989, 2053 mwN). Der historische Gesetzgeber ist bei Schaffung des Grundsatzes „Kauf bricht nicht Miete“ offensichtlich davon ausgegangen, dass der veräußernde Vermieter gleichzeitig auch Eigentümer der Mietsache ist. Die Möglichkeit, dass ein Dritter den Mietvertrag im eigenen Namen, aber im Einvernehmen mit dem Eigentümer und in dessen wirtschaftlichem Interesse abschließt, wurde bei den Beratungen der Vorschrift nicht in den Blick genommen. Deshalb liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. Es besteht ferner auch die für eine Analogie erforderliche Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. So liegen die Dinge nach Auffassung des Bundesgerichtshofs hier. Denn der in § 566 BGB geregelte Eintritt des Erwerbers in ein bestehendes Mietverhältnis dient dem Schutz des Mieters, dem eine Wohnung, ein Grundstück (§ 578 Abs. 1 BGB) oder gewerblich genutzte Räume (§ 578 Abs. 2 S. 1 BGB) aufgrund eines wirksamen Mietvertrages überlassen worden sind. Die ihm dadurch von seinem Vertragspartner eingeräumte Rechtsstellung – der berechtigte Besitz – soll ihm auch gegenüber einem späteren Erwerber des Grundstücks erhalten bleiben (BGH NJW 2010, 1068 Rn. 21). Dieser Gesetzeszweck greift indes nicht nur dann, wenn das Mietobjekt unmittelbar vom Eigentümer des Mietobjekts gemietet wird, sondern auch dann, wenn ein Nichteigentümer den Mietvertrag im eigenen Namen, aber mit Zustimmung des Eigentümers abschließt. Zwar hat der Mieter auch in diesen Fällen aus dem Mietvertrag kein unmittelbar gegen den Eigentümer wirkendes Recht zum Besitz. Er kann sich jedoch gemäß § 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB auf ein von seinem Vermieter abgeleitetes Besitzrecht berufen (Günter WuM 2013, 264, 270). Der Eigentümer, der die Fremdvermietung seines Grundstücks gestattet, räumt demjenigen, der als Vermieter auftritt, regelmäßig ein Besitzrecht und die Berechtigung zur Gebrauchsüberlassung an den Mieter ein. Diese bis zum Eigentümer reichende Besitzkette genügt, um dem Mieter ein abgeleitetes Besitzrecht im Sinne von § 986 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB zu verschaffen (so etwa Münchner Kommentar zum BGB, § 986 Rn. 52). Der von § 566 Abs. 1 BGB verfolgte Zweck, das Bestandsinteresse des Mieters zu schützen, rechtfertigt es, ihm bei einer Veräußerung der Mietsache dieses abgeleitete Besitzrecht gegenüber dem Erwerber zu erhalten. Die Vorschrift verlangt nicht, dass sich der Mieter vor dem Abschluss des Mietvertrags über die Eigentumsverhältnisse des Mietobjekts informiert. Sie knüpft vielmehr an das sich aus dem Mietvertrag ergebende Recht des Mieters zum Besitz der Mietsache an. Sein Interesse, nach einem Wechsel der Eigentumsverhältnisse unbeeinträchtigt die angemieteten Wohn- oder Geschäftsräume weiter nutzen zu können, besteht unabhängig davon, ob er den Mietvertrag mit dem Eigentümer selbst oder einer anderen Person abgeschlossen hat, die hierbei für den Eigentümer mit dessen Willen und Einverständnis tätig geworden ist. Im Übrigen könnte sonst der von § 566 Abs. 1 BGB gewährte Mieterschutz dadurch umgangen werden, dass der Eigentümer nicht selbst den Mietvertrag abschließt, sondern eine dritte Person einschaltet, die formal als Vermieter auftritt, letztlich aber allein im Interesse des Eigentümers handelt. Auch der Vermieter erfährt keine Nachteile durch die entsprechende Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB, wenn er den Mietvertrag mit Zustimmung des Eigentümers und in dessen wirtschaftlichem Interesse abgeschlossen hat. Er verliert zwar durch die Überleitung des Mietvertrags auf den Erwerber des Grundstücks seine Vermieterstellung. Da er jedoch für den Eigentümer tätig geworden ist, besteht bei ihm regelmäßig kein eigenes Interesse am Fortbestand seiner Vermieterstellung bei einem Eigentumswechsel. Der Vermieter wird in diesen Fällen auch nicht dadurch unangemessen benachteiligt, dass er gemäß § 566 Abs. 2 BGB gleich einem Bürgen für die Erfüllung der auf den Erwerber übergegangenen mietvertraglichen Pflichten haftet. Würde man nämlich in dieser Sachverhaltskonstellation eine analoge Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB und damit ein Übergang der Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis auf den Erwerber ablehnen, bliebe der Vermieter bei einer Veräußerung des Mietobjekts durch den Eigentümer weiterhin gegenüber dem Mieter nach § 535 Abs. 1 S. 1 BGB zur Gebrauchsüberlassung verpflichtet, obwohl er nach der Übertragung des Eigentums auf den Erwerber in der Regel diese Verpflichtung nicht mehr erfüllen könnte. Er wäre deshalb Schadensersatzansprüchen des Mieters ausgesetzt. Deshalb ist die Rechtsstellung des Vermieters bei einer analogen Anwendung des § 566 BGB und der damit verbundenen bürgengleichen Haftung nach § 566 Abs. 2 BGB nicht verschlechtert. Die Interessen des Erwerbers stehen in dieser Konstellation einer analogen Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB ebenfalls nicht entgegen. Die Vorschrift setzt voraus, dass die Mietsache vor der Veräußerung dem Mieter überlassen worden ist. Das Erfordernis der Überlassung der Mietsache an den Mieter erfüllt eine Publizitätsfunktion, denn der Erwerber kann in der Regel bereits aus der Besitzlage ablesen, in welche Mietverhältnisse er eintreten muss (BGH NJW 2015, 627 Rn. 26 mwN). Durch eine Beschränkung der analogen Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB auf die Fälle, in denen der Dritte nicht nur mit Zustimmung des Erwerbers, sondern auch in dessen wirtschaftlichem Interesse handelt, ist schließlich gewährleistet, dass bei einer bloßen Untervermietung eine entsprechende Anwendung der Vorschrift ausscheidet (BGH NJW-RR 2004, 657, 658). Bei der Untervermietung gestattet der Eigentümer zwar dem Hauptmieter auch, das Mietobjekt weiterzuvermieten. Der Abschluss des Untermietvertrages erfolgt jedoch nicht im Interesse des Eigentümers, sondern stellt eine besondere Art der Nutzung der Mietsache durch den Hauptmieter dar.

Im vorliegenden Fall fanden sich ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Mietverträge allein im wirtschaftlichen Interesse der Grundstücks GmbH abgeschlossen wurden. Die Handels GmbH wurde nur aus „strategischen Gründen“ ins Leben gerufen. Tatsächlich sind die Mietverträge nur auf Anweisung der Grundstücks GmbH abgeschlossen worden. Zudem hat die Grundstücks GmbH die Gewerbeimmobilie verwaltet und die Miete eingezogen. Schließlich wurden die Mietverträge in dem zwischen der Grundstücks GmbH und der Klägerin abgeschlossenen Grundstückskaufvertrag so behandelt, als sei die Grundstücks GmbH Mietvertragspartei. Dem Kaufvertrag war eine Liste der bestehenden Mietverhältnisse beigefügt und die Grundstücks GmbH hat für den Bestand dieser Mietverhältnisse und für die daraus zu erzielenden Mieteinnahmen eine Garantie übernommen. Zudem haben die Kaufvertragsparteien in § 4 Abs. 3 des Kaufvertrags die Übertragung der Rechte und Pflichten aus den bestehenden Mietverträgen auf die Klägerin vereinbart. Das zeigt, dass die Grundstücks GmbH die Mietverträge so behandelt hat, als seien sie von ihr selbst abgeschlossen worden, und die Kaufvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass die Klägerin als Erwerberin in die bestehenden Mietverträge eintritt. Die genannten Umstände belegen außerdem, dass die Handels GmbH als eigentliche Vermieterin kein eigenes Interesse am Fortbestand ihrer Stellung als Vermieterin bei einer Veräußerung des Grundstücks hatte. Unter diesen Umständen war es ausnahmsweise gerechtfertigt, den Mietvertrag in entsprechender Anwendung der §§ 566 Abs. 1, 578 Abs. 1 BGB so zu behandeln, als habe die veräußernde Grundstücks GmbH die Mietverträge abgeschlossen. Dem auf § 985 BGB gestützten Herausgabeanspruch der Klägerin kann der Mieter somit ein Recht zum Besitz gemäß § 986 Abs. 1 BGB entgegenhalten.