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OLG Hamm, Urteil vom 11.02.2016 – 18 U 42/15 – “Befriedigung aus einer Bürgschaft im laufenden Mietverhältnis


Das Oberlandesgericht Hamm hat sich mit Urteil vom 11.02.2016 – 18 U 42/15 – mit einer weiteren Variante der Inanspruchnahme einer Bürgschaft im laufenden Mietverhältnis befasst. Mit Vertrag vom 16.12.2004 vermietete die Beklagte Räumlichkeiten zum Betrieb eines Backshops. Am 01.01.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters eröffnet und die Klägerin wurde zur Insolvenzverwalterin bestellt. Das Mietverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Insolvenzverwalterin zum 31.01.2014.

Der Mietvertrag enthielt folgende Wertsicherungsklausel:

Ändert sich der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Deutschland auf der Basis des Jahres 2000 = 100 um mehr als fünf Punkte gegenüber dem Indexpunktstand zum Zeitpunkt der Übergabe oder der letzten Anpassung der Miete aufgrund einer Preisindexeränderung, ändert sich die Miete in gleichem Maße zum Ersten des Monats, in dem die diese Mietanpassung auslösende Preisindexveränderung eingetreten ist. Der Vermieter wird die Änderung/Erhöhung dem Mieter mitteilen und dabei eine entsprechende Berechnung vorlegen.

Der Schwellenwert von fünf Punkten gegenüber dem Indexpunktstand zum Zeitpunkt der Übergabe der Mietsache erhöhte sich ab April 2008 um mehr als fünf Punkte. Erst mit Schreiben vom 08.02.2012 macht der Vermieter rückwirkend eine Mieterhöhung aufgrund der Wertsicherungsklausel geltend. Nachdem die Klägerin (die Insolvenzverwalterin) keine Zahlung leistete, nahm der Vermieter die Bürgin aus der vom Mieter gestellten Mietbürgschaft in Anspruch. Die Bürgin zahlte EUR 3.700,00. Der Vermieter verrechnete diesen Betrag auf die geltend gemachten Mieterhöhungen ab April 2008 und zwar zunächst auf die ältesten. Die Insolvenzverwalterin klagt auf Zahlung des Betrages von EUR 3.700,00 an die Bürgin. Sie meint, Mieterhöhungen für die Monate April 2008 bis Dezember 2008 seien verjährt und die Mieterhöhungen ab Januar 2009 seien verwirkt, da sie über vier Jahre lang nicht geltend gemacht worden seien.

Das Oberlandesgericht weist die Klage ab. Es führt zunächst aus, die Mietzinserhöhung sei automatisch erfolgt, ohne dass eine Aufforderung durch den Vermieter erforderlich gewesen sei. Eine andere Auslegung der vertraglichen Regelung dahin, dass konstitutiv für die Erhöhung das Erhöhungsverlangen sein soll, ist mit ihrem Wortlaut nicht zu vereinbaren. Soweit es im zweiten Teil der Klausel heißt, der Vermieter „wird“ die Änderung dem Mieter mitteilen, begründet dies nicht den konstitutiven Charakter dieser Mitteilung. Daraus ergibt sich allenfalls, dass die Insolvenzverwalterin vor Bekanntgabe des Erhöhungsverlangens nicht zu leisten brauchte. Die Mitteilung betrifft also lediglich die Frage der Fälligkeit bzw. der Erfüllbarkeit der Mieterhöhungen. Ansprüche auf Zahlung der Erhöhungsbeträge sind auch nicht verwirkt, wobei das Oberlandesgericht die (zu bejahende) Frage der Verjährung der Mieterhöhungen vor dem 01.01.2009 offenlässt, weil es hierauf für die Entscheidung nicht ankommt. Auf alle Fälle sind die Erhöhungsbeträge ab dem 01.01.2009 (die den verbürgten Betrag überstiegen, so dass es irrelevant war, ob hinsichtlich der Erhöhungen vor Ablauf des Jahres 2008 Verjährung eingetreten war) nicht verwirkt. Das bloße Zeitmoment, also der Ablauf von vier Jahren, reicht nicht aus. An weiteren Umständen, die zu einem gerechtfertigten Vertrauen des Mieters hätten führen können, fehlt es.

Ohne Bedeutung für die Entscheidung war auch, dass der Vermieter nicht bereits am 09.02.2012 während des laufenden Mietverhältnisses auf die Bürgschaft zugreifen durfte. Zwar darf sich der Vermieter im laufenden Mietverhältnis nur wegen solcher Forderungen aus der Sicherheit befriedigen, wegen derer der Mieter sich bereits in Verzug befindet (Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl., Kap. III. A 2036), vor allem aber soll ein Zugriff auf die Kaution nicht wegen bestrittener Forderungen möglich sein (BGH NJW 2014, 2496 für die Wohnraummiete). Wenn Letzteres auch für die Inanspruchnahme einer Bürgschaft im Rahmen eines Geschäftsraummietverhältnisses gilt, dann lagen die vertraglichen Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Bürgschaft am 09.02.2012 nicht vor. Denn hinsichtlich der Mieterhöhungen befand sich die Mieterin zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Bürgschaft weder in Verzug noch waren die Forderungen unstreitig. Das ist aber ohne Bedeutung. Zwar kann ein solchermaßen vertragswidriges Verhalten des Vermieters zu einem Anspruch des Mieters führen, von vorzeitig ausgelösten Regressansprüchen des in Anspruch genommenen Bürgen freigestellt zu werden. Ist bereits eine erfolgreiche Inanspruchnahme des Bürgen erfolgt, wird dies auf einen Zahlungsanspruch in betreffender Höhe hinauslaufen und zwar gegebenenfalls nur Zug um Zug gegen Neugestellung der vertraglich vorgesehenen Bürgschaft, denn der Anspruch des Vermieters auf eine solche Sicherheit ist nicht mit der vertragswidrigen Inanspruchnahme entfallen. Doch kann der Vermieter nach Beendigung des Mietverhältnisses die Sicherheit auch wegen streitiger Forderungen in Anspruch nehmen (so beispielsweise Palandt, BGB, vor § 535 Rn. 123 und Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, § 551 Rn. 100). Mit Ablauf des 31.01.2014 sind damit etwaige Ansprüche der Insolvenzverwalterin wegen einer bis dato vorzeitigen Inanspruchnahme der Bürgschaft durch den Vermieter entfallen.