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OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.1.2012 – 10 U 66/11 – „Probleme bei der Räumungszwangsvollstreckung”


Wenn der Vermieter endlich einen Räumungstitel gegen seinen Mieter erwirkt hat, fangen die Probleme nicht selten erst an. Dies soll im nachfolgenden Beitrag dargestellt werden.

1.    Titel gegen den Besitzer erforderlich
Insbesondere unredliche Mieter können die Räumungszwangsvollstreckung dadurch verzögern, dass sie Untermietverhältnisse begründen.
Der Gerichtsvollzieher führt nur dann eine Zwangsräumung durch, wenn er den im Räumungstitel (dem Urteil) genannten Räumungsschuldner vorfindet. Ein beliebtes Mittel, die Zwangsvollstreckung zu vereiteln, besteht darin, dass dem Gerichtsvollzieher ein Untermietvertrag vorgelegt wird, aus dem hervorgeht, dass der Mieter die Mietsache einem Untermieter überlassen habe. Dann stellt der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung ein und der Vermieter muss erneut gegen den Untermieter auf Räumung klagen. Wird ein Titel gegen den Untermieter erstritten, wiederholt sich das geschilderte Spiel. Erscheint der Gerichtsvollzieher, wird unter Vorlage eines neuen Untermietvertrages behauptet, nunmehr sei ein anderer Untermieter in Besitz der Mietsache. Die Zwangsvollstreckung wird erneut eingestellt. Der Vermieter muss gegen den neuen Untermieter Klage erheben.

Böswillige Mieter haben somit die Möglichkeit, durch Begründung immer neuer Mitbesitzverhältnisse an der Mietsache eine schnelle Räumungsvollstreckung zu unterlaufen. Dies wird auch dadurch begünstigt, dass der Bundesgerichtshof den Einwand, die neue, meist heimliche Besitzbegründung sei für die Vollstreckung unbeachtlich, da treuwidrig erfolgt, für unbegründet erklärt hat (BGH NZM 2008, 805).
Der Vermieter kann sich auch nicht dadurch wehren, dass er in derartigen Fällen eine einstweilige Verfügung auf Räumung stellt, denn nach der Rechtsprechung ist selbst dann eine einstweilige Verfügung ausgeschlossen, wenn bereits ein vollstreckbarer Räumungstitel gegen den Mieter vorliegt und der Besitz des Untermieters an der Mietsache ohne Wissen des Vermieters begründet wurde.

2.    Reichweite des Räumungstitels
Lautet das Urteil auf Räumung und Herausgabe der Mietsache, dann kann im Wege der Räumungszwangsvollstreckung nicht erreicht werden, dass Ein- und Umbauten des Mieters, von diesem vorgenommene Pflanzungen und vom Mieter verursachte Umweltschäden beseitigt werden.
Dem Gerichtsvollzieher ist die Aufgabe übertragen, die auf Herausgabe und Räumung einer Mietsache lautenden Titel in der Weise zu vollstrecken, dass er in erster Linie den Mieter aus dem Besitz setzt und den Gläubiger in ihren Besitz einweist. Der Gerichtsvollzieher hat ferner die Aufgabe, bewegliche Sachen, die sich in der Mietsache befinden, wegzuschaffen und dem Schuldner zur Verfügung zu stellen.
Liegt der Hauptakzent der im Rahmen der Räumung zu erledigenden Aufgaben aber auf umfangreichen handwerklichen Arbeiten, die dazu dienen sollen, die Mietsache erst wieder in einen Zustand zu versetzen, der ihre Weitervermietung durch den Vermieter ermöglicht, reicht ein auf Räumung und Herausgabe lautendes Urteil nicht aus. Insoweit wird vielmehr ein Urteil benötigt, das auf Vornahme bestimmter Handlungen des Mieters lautet, etwa auf Entfernung von Ein- und Umbauten, Pflanzungen und Beseitigung von Umweltschäden.
Probleme ergeben sich auch, wenn das Urteil auf Räumung und Herausgabe einer Mietsache lautet, in der sich Tiere befinden. Man denke beispielsweise an die Räumung eines Garten- und Zoocenters. Tiere, die der Mieter nicht mitnimmt, müssen nicht nur fortgeschafft und untergebracht, sondern auch gefüttert und gepflegt werden. Hierzu fehlt es dem Gerichtsvollzieher an der Sachkunde. Deshalb ist wohl ein gesonderter Titel erforderlich, der auf die Entfernung von Tieren aus der Mietsache gerichtet ist.

3.    Suizidgefährdete Räumungsschuldner
Auch im Gewerberaummietrecht kann es passieren, dass einem suizidgefährdeten Räumungsschuldner Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO gewährt wird, weil im Falle der Zwangsräumung die konkrete Gefahr eines Suizids besteht.
§ 765 a Abs. 1 ZPO lautet:
Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härt bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist… .
Trotz konkreter Suizidgefahr bedeutet die Räumungsvollstreckung nicht zwingend eine sittenwidrige Härte. Abzuwägen sind das gewichtige Interesse des Vermieters, dessen Eigentum durch Artikel 14 Grundgesetz geschützt ist, und der Schutz des Räumungsverpflichteten. Zu prüfen ist, ob die Suizidgefahr in anderer Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung beseitigt werden kann, wobei der Schuldner gehalten ist, das ihm Zumutbare zur Abwendung der Gefahrenlage zu tun. In einem Extremfall nahm das Bundesverfassungsgericht (NZM 2001, 951) ein dauerhaftes Vollstreckungshindernis an. In diesem Ausnahmefall hatte ein Sachverständiger festgestellt, im Falle der Zwangsräumung bestehe für den Räumungsschuldner (einem Betreiber eines Restaurants) die konkrete Gefahr eines Suizids, die als außerordentlich hoch eingeschätzt wurde.
In der Praxis überwiegen allerdings die Fälle nur vorgespiegelter Suizidgefahr. Auch in diesen Fällen kommt es zu einer Verzögerung der Zwangsvollstreckung. Der Gerichtsvollzieher wird, da er selbst keine medizinische oder psychologische Diagnose stellen kann und darf, nur in den seltensten Fällen die Räumungsvollstreckung unmittelbar fortsetzen. Er wird vielmehr die Vollstreckung nach § 765 a Abs. 2, Abs. 3 ZPO bis zu einer Woche einstellen, damit der Räumungsschuldner eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nach § 765 a Abs. 1 ZPO einholen kann.

Gefahren bei einem Übernahmevertrag
Ein Urteil des OLG Düsseldorf vom 23.1.2012 – 10 U 66/11 – zeigt, welche Gefahren bei einer Übernahmevereinbarung bestehen. Die Schriftform eines langfristigen Mietvertrages ist nämlich bei einem rechtsgeschäftlichen Mieterwechsel durch zweiseitigen Vertrag zwischen Alt- und Neumieter nur eingehalten, wenn diese Mieteintrittsvereinbarung dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB genügt. Zwar bedarf die Zustimmung des Vermieters zu einem zwischen Alt- und Neumieter rechtsgeschäftlich vereinbarten Mieterwechsel nicht der Schriftform. Dennoch sind die Gefahren groß, dass eine Übernahmevereinbarung zur ordentlichen Kündbarkeit des Mietvertrages wegen eines Schriftformmangels führt. Dies zeigt der Sachverhalt anschaulich, den das OLG Düsseldorf zu beurteilen hatte. Das OLG gab einem Mieter Recht, der einen langfristigen Mietvertrag mit der Begründung ordentlich gekündigt hatte, es liege ein Schriftformmangel vor, weil in einem Übernahmevertrag nicht ausdrücklich auch auf Nachtragsvereinbarungen zum Mietvertrag Bezug genommen wurde.
Mietgegenstand war eine Praxis. Der Mietvertrag ist in der Folgezeit durch drei Nachträge zwischen Vermieter und Altmieter (unter anderem Änderung der Betriebskostenumlage und Einräumung eines Optionsrechts) geändert worden. Zwischen Alt- und Neumieter wird ein Praxisvertrag geschlossen, in dem es unter anderem in § 5 („Vermietung der Praxisräume“) heißt:
Die Praxis wird bertrieben in 4. D, F. 17 mit einer Praxisfläche von ca. 92 m². Die Erwerberin tritt in den bestehenden Mietvertrag ein. Das Einverständnis des Vermieters liegt vor.
In § 18 des Übernahmevertrages heißt es:
Alle im Vertrag genannten Unterlagen und Verträge wurden der Erwerberin vor Vertragsunterzeichnung ausgehändigt.
Nach Auffassung des OLG Düsseldorf verletzte die Übernahmevereinbarung die gesetzliche Schriftform nach § 550 BGB.
Danach ist die Schriftform nur gewahrt, wenn sich die Einigung über alle wesentlichen vertraglichen Vereinbarungen – insbesondere den Mietgegenstand, den Mietzins sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses – aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergibt. Werden wesentliche vertragliche Vereinbarungen nicht im Mietvertrag selbst schriftlich niedergelegt, sondern in Anlagen ausgelagert, sodass sich der Gesamtinhalt der mietvertraglichen Vereinbarung erst aus dem Zusammenspiel dieser „verstreuten“ Bedingungen ergibt, müssen die Parteien zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise zweifelsfrei kenntlich machen. Dazu bedarf es keiner körperlichen Verbindung dieser Schriftstücke. Vielmehr genügt für die Einheit der Urkunde die bloße gedankliche Verbindung, die in einer zweifelsfreien Bezugnahme zum Ausdruck kommen muss. Werden wesentliche Vertragsabsprachen in einem Nachtragsvertrag getroffen, wahrt dieser die Schriftform eines Mietvertrages nur dann, wenn er eine Bezugnahme auf die Schriftstücke enthält, aus denen sich sämtliche wesentlichen vertraglichen Vereinbarungen ergeben. Diesen Anforderungen wird die Mietübernahmeregelung in § 5 des Praxisübernahmevertrages nicht gerecht. Die Parteien des Ausgangsmietvertrages vom 4.9.1975 haben diesen durch die Nachträge vom 10.4.1997, vom 27./29.8.1997 und vom 21.3.2002 in jeweils wesentlichen Punkten (u.a. Betriebskostenumlage, Optionsrecht) geändert, sodass die Mieteintrittsvereinbarung in § 5 des Praxisübernahmevertrages zur Wahrung der Schriftform der § 550 BGB auf diese Nachtragsvereinbarungen ausdrücklich hätte Bezug nehmen müssen.
Ohne eine solche Bezugnahme war für einen potentiellen Erwerber – auch nicht im Wege der Auslegung – aus der Einsicht in den Praxisübernahmevertrag nicht ersichtlich, dass er in einen Mietvertrag mit umfangreichen Nachträgen eintritt. Auch der Hinweis in § 18, „alle im Vertrag genannten Unterlagen und Verträge wurden der Erwerberin vor Vertragsunterzeichnung ausgehändigt“, enthält keine ausreichende Bezugnahme auf die Nachtragsvereinbarungen.
Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Schriftform hat zur Folge, dass sämtliche vereinbarten Befristungen und Optionsrechte unwirksam sind und das Mietverhältnis der Parteien ordentlich gekündigt werden konnte.
Das Oberlandesgericht hat ferner ausgeführt, dass der Mieter auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf den Mangel der Schriftform zu berufen. Jede Partei darf sich grundsätzlich – auch nach jahrelanger Durchführung des Mietvertrags – darauf berufen, dass die für den langfristigen Mietvertrag vorgesehene Form nicht eingehalten ist. Aus dem Umstand, dass die Parteien ihren Pflichten aus dem Mietvertrag über einen längeren Zeitraum bis zu der ordentlichen Kündigung durch eine Mietvertragspartei nachgekommen sind, lässt sich nicht herleiten, sie hätten darauf vertrauen können, der Vertragspartner werde nicht von der besonderen Kündigungsmöglichkeit Gebrauch machen, die das Gesetz vorsieht, wenn die Schriftform nicht eingehalten ist. Nur ausnahmsweise, wenn die Unwirksamkeit der vereinbarten langfristigen Vertragsdauer zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf den Formmangel zu berufen. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat. Hieran fehlt es aber im konkreten Fall. Dass beide Parteien zunächst rechtsirrig von der Wirksamkeit des Mietvertrages ausgegangen sind, führt nicht zur Anwendung des § 242 BGB. Auch die Ausübung einer – im Ergebnis unwirksamen – Option oder die Berufung auf einen vereinbarten Konkurrenzschutz führen nicht dazu, dass es gegen Treu und Glauben verstößt, wenn sich eine Partei auf den Schriftformmangel beruft und den Mietvertrag ordentlich kündigt.
Ein treuwidriges Handeln läge hingegen vor, wenn eine Mietvertragspartei eine Nachtragsvereinbarung, die ihr lediglich vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem inzwischen lästig gewordenen Mietvertrag zu lösen. Ein derartiger Sachverhalt lag der Entscheidung des OLG Düsseldorf aber nicht zugrunde.