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BGH Urteil vom 27.09.2011 – AZ: VI ZR 135/10 – „Keine Verjährung von Schadensersatzansprüchen”


Die Verjährung spielt in Kapitalanlagefällen eine besondere Rolle, da den Anlegern die Fehlberatung erst Jahre später auffällt. In diesem Zusammenhang ist der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist des
§ 195 BGB bedeutsam. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährung mit Schluss des Jahres, in welchem der Anleger von der Fehlberatung tatsächlich erfahren hat oder grob fahrlässig nicht erfahren hat. Die Anlegerin in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenem Fall hat zunächst eine eigene Anlage im Jahr 2003 gezeichnet. Der Beratung lag ein falscher Prospekt zugrunde. Im Jahr 2004 zeichnete sodann die Tante der Anlegerin eine ähnliche Anlage. Der Beratung aus dem Jahr 2004 lag ein Prospekt zugrunde, der die feh-lerhafte Beratung aus dem Jahr 2003 offen legte. Die Anlegerin las den Prospekt aus dem Jahr 2004. Die Vorinstanzen hatten angenommen, dass spätestens im Jahr 2004 die Fehlberatung aus dem Jahr 2003 hätte erkannt werden müssen, demnach der Anlegerin zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist, wenn sie den Fehler doch nicht erkannt hat. Demzufolge wurde der Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist 2004 angenommen.

Der BGH hat einer derartigen Sichtweise eine Absage erteilt. Eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz na-heliegende Überlegungen nicht anstellt und nicht beachtet. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seinen eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden, weil sich ihm die anspruchsbegründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben müssen und er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat, so der BGH. Den Gläubiger trifft generell keine Obliegenheit im Interesse des Schuldners Nachforschungen zu bertreiben, um die Verjährungsfrist in Gang zu setzten. In Prospekthaf-tungs- und Anlageberatungsfällen ergibt sich eine grob fahrlässige Unkenntnis und damit Beginn der Verjährungsfristen nicht bereits dann, wenn sich die Fehlberatung aus dem Anlageprospekt ergibt, der Anleger aber dessen Lektüre unterlassen hat. Denn der Anleger misst seiner Entscheidung den besonderen Erfahrungen und Kenntnissen seines Anlageberaters ein besonderes Gewicht bei. Deshalb treten die zahlreichen Prospektangaben, die mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken angerei-chert sind, in den Hintergrund. Vertraut ein Anleger auf den Rat des Anlageberaters oder Vermittlers und sieht er davon ab, den Prospekt durchzusehen, so liegt darin kein grobes Verschulden. Der Anleger ist nämlich nicht verpflichtet, den Berater durch Lektüre des Anlageprospektes zu kontrollieren. In diesem Fall beginnt die Verjährungsfrist eben nicht zu laufen.
Die Klägerin hat den Prospekt gelesen. Es konnte jedoch nicht bewiesen werden, dass die maßgebliche Seite 20 damals gelesen wurde, aus welchen sich die Fehlberatung ergeben hätte. Zudem dient ein Prospekt vorrangig der Information des Anlageinteressenten im Zusammenhang mit der eigenen Anlageent-scheidung. Dieser Zweck war aber mit dem unwiderruflich gewordenen Erwerb der Anlage im Jahr 2003 erfüllt. Die Funktion des Prospektes liegt nicht darin, die Richtigkeit der im Rahmen eines mündlichen Beratungs- oder Vermittlungsgesprächs gemachten Angaben lange Zeit nach der eigenen Anlageentscheidung zu kontrollieren.
Der Bundesgerichtshof setzt daher die anlegerfreundliche Rechtsprechung zu Verjährungsfragen weiter fort und bestätigt, dass die Voraussetzungen für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 1 BGB eng sind und der Anleger insbesondere nicht zur Nachforschung nach etwaigen Fehlern des Beraters verpflichtet ist.