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BGH, Urteil vom 14.07.2017 – V ZR 290/16 – “Zur wundersamen Stimmenmehrung in der Wohnungseigentümerversammlung


Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, die aus 4 Wohnungen besteht. Der Kläger war ursprünglich Eigentümer der Wohnung Nr. 3 und 4. Nachdem § 25 Abs. 2 S. 1 WEG bestimmt, dass jeder Eigentümer über eine Stimme verfügt (Kopfstimmrecht) und der Kläger über mehr als eine Stimme verfügen wollte, veräußerte er die Wohnung Nr. 4 an eine UG & Co. KG (künftig: Kommanditgesellschaft), an welcher der Kläger als alleiniger Gesellschaftergeschäftsführer und Kommanditist beteiligt ist. In einer Eigentümerversammlung vom 04.11.2015 wurde mit den auf die Wohnungen Nr. 1 und Nr. 2 entfallenden Stimmen ein Beschluss gefasst, wonach die Kommanditgesellschaft vom Stimmrecht ausgeschlossen ist. Sodann wurden gegen die Stimme des Klägers Beschlüsse über die Jahresabrechnung und Verwalterbestellung gefasst.

Der Bundesgerichtshof erklärt die in der Eigentümerversammlung vom 04.11.2015 gefassten Beschlüsse für ungültig. Denn der Kommanditgesellschaft steht ebenfalls ein Stimmrecht zu, das unberücksichtigt geblieben ist. Der Bundesgerichtshof bestätigt, dass unter der Geltung des Kopfstimmrechtes eine nachträgliche Vermehrung von Stimmrechten eintreten kann, wenn ein Eigentümer ursprünglich mehrere Einheiten hält und diese sukzessive veräußert. Demnach entsteht auch dann ein neues Stimmrecht, wenn ein Wohnungseigentümer das Alleineigentum an einer von mehreren Einheiten auf eine von ihm beherrschte juristische Person überträgt. Durch die Übertragung auf die Kommanditgesellschaft ist damit ein viertes Stimmrecht entstanden.

Die Kommanditgesellschaft ist von der Ausübung dieses entstandenen Stimmrechtes nicht ausgeschlossen. Denn das Stimmrecht gehört zum Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte. Es ist ein wesentliches Mittel zur Mitgestaltung der Gemeinschaftsangelegenheiten. Es darf daher nur ausnahmsweise und lediglich unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden. § 25 Abs. 5 WEG beschränkt den Ausschluss des Stimmrechts auf bestimmte Fälle schwerwiegender Interessenkollisionen. Die dort genannten Fälle lagen in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall nicht vor. Ein allgemeiner Stimmrechtsausschluss kommt daher auch dann nicht vor, wenn die konkrete Gefahr der Majorisierung durch einzelne Eigentümer besteht. Der Minderheitenschutz wird insbesondere durch das Prinzip ordnungsgemäßer, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung gemäß § 21 Abs. 5 WEG gewährt. Majorisierende Beschlüsse können insbesondere unter dem Blickwinkel der Willkür, des Rechtsmissbrauchs oder einer unbilligen Benachteiligung einzelner ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Auf diese Art und Weise gefasste Beschlüsse können im Wege der Beschlussmängelklage für ungültig erklärt werden. Weiteres Mittel des Rechtsschutzes ist die so genannte Beschlussersetzungsklage gemäß § 21 Abs. 4, Abs. 8 WEG. Verhindert ein Eigentümer eine Beschlussfassung, die ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht, kann eine umfassende Beschlussersetzung durch das Gericht angezeigt sein.

Die Kommanditgesellschaft dürfte die konkreten Beschlüsse zur Jahresabrechnung und Verwalterbestellung im konkreten Fall ebenfalls ausüben, da die Stimmabgabe unter dem Gesichtspunkt der Blockade nicht rechtsmissbräuchlich ist. Denn die Ausnutzung eines Stimmenübergewichts reicht für einen Rechtsmissbrauch allein nicht aus. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten, die sich als Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gemeinschaft und damit die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung darstellen.

Demnach kommt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nur ausnahmsweise und unter engen Voraussetzungen in Betracht. Es reicht nicht aus, dass der gefasste Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht oder dass ein Wohnungseigentümer aufgrund seines Stimmgewichtes Beschlussfassungen blockiert, obwohl es ein Gebot ordnungsgemäßer Verwaltung wäre, einen positiven Beschluss zu fassen. Vielmehr muss die Art und Weise der Stimmrechtsausübung die übrigen Wohnungseigentümer so offenkundig und ohne jeden Zweifel in treuwidriger Weise benachteiligen, dass der Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann. Das ist in aller Regel nur bei positiven Stimmabgaben der Fall. Als Beispiel nennt der Bundesgerichtshof den Fall, wenn ein Mehrheitseigentümer gegen die Stimmen der übrigen Wohnungseigentümer eine wegen gravierender Vermögensdelikte vorbestrafte Personen aufgrund einer persönlichen Nähe zum Verwalter bestellt oder wenn mit den Stimmen eines Mehrheitseigentümers ein Beschluss gefasst wird, der diesem offensichtlich unangemessene Vorteile verschafft. Von solchen besonderen Ausnahmefällen abgesehen muss die Stimme eines Wohnungseigentümers berücksichtigt werden, ansonsten die gesetzlichen Stimmrechtsverbote gemäß § 25 Abs. 5 WEG umgangen würden. Auch dient dies der Rechtssicherheit, da im Grundsatz von einem Stimmrecht auszugehen ist.

Auch die Abgabe von Nein-Stimmen und damit die Ablehnung eines Beschlussantrages (sogenannter Negativbeschluss) führt in der Regel nicht dazu, dass die Stimme des blockierenden Eigentümers außer Betracht zu bleiben hat. Dies hätte nämlich die Folge, dass mit den Stimmen einer Minderheit positive Beschlüsse gefasst werden könnten. Es ist aber Aufgabe der Gerichte gegebenenfalls eine Beschlussersetzung vorzunehmen und nicht der Minderheit der Wohnungseigentümer. Das gilt auch im Hinblick auf die Ablehnung der Bestellung eines Verwalters. Denn das Gericht kann auf Antrag durch einstweilige Verfügung einen Notverwalter bestellen und in der Hauptsache die Verwalterbestellung im Wege der Beschlussersetzung herbeiführen.

Wegen des formellen Mangels der Nichtberücksichtigung der Stimmen der Kommanditgesellschaft waren demnach die gefassten Beschlüsse für ungültig zu erklären. Die Nichtberücksichtigung der Stimmen der Kommanditgesellschaft hat sich auf das Abstimmungsergebnis auch ausgewirkt, weil die Beschlüsse gegen die Stimme des Klägers und der Kommanditgesellschaft nicht zustande gekommen wären.

Der Bundesgerichtshof stärkt damit das Stimmrecht der einzelnen Eigentümer und schafft Rechtsklarheit. In der Regel ist, wenn die Ausnahmen nach § 25 Abs. 5 WEG nicht vorliegen, von einem Stimmrecht des Eigentümers auszugehen.