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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14.09.2017 – 5 AS 7/17 – Rechtsprechungsänderung zur Verbindlichkeit von Weisungen


Das Bundesarbeitsgericht ändert seine Rechtsprechung zur Frage, ob ein Arbeitnehmer eine unbillige Weisung des Arbeitgebers befolgen und dagegen klagen muss und erst, wenn festgestellt ist, dass die Weisung unbillig war, ihre Befolgung verweigern darf.

Bislang hatte der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitnehmer sich auch über eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht hinwegsetzen darf, sondern entsprechend § 315 Abs. 3 S. 2 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen müsse. Der Arbeitnehmer sei wegen der das Arbeitsverhältnis prägenden Weisungsgebundenheit an die durch die Ausübung des Weisungsrechts erfolgte Konkretisierung vorläufig gebunden, bis durch ein rechtskräftiges Urteil die Unverbindlichkeit dieser Weisung festgestellt werde (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.02.2012 – 5 AZR 249/11). Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat nun in einem Beschluss vom 14.06.2017 beim 5. Senat angefragt, ob er an dieser Rechtsauffassung festhalte, da man selbst eine andere Auffassung vertrete. Die sehr ausführliche Begründung stellt in einer ihrer entscheidenden Passagen im Wesentlichen darauf ab, dass es auch keine praktischen Gründe gebe, von einer vorläufigen Verbindlichkeit einer unbilligen Weisung auszugehen.

Der 10. Senat führt wörtlich aus:

„Es bestehen auch keine praktischen Gründe, von einer vorläufigen Verbindlichkeit auszugehen. Spricht der Arbeitgeber eine Weisung aus, ist diese für ihn als Bestimmungsberechtigten verbindlich. Befolgt der Arbeitnehmer diese Weisung und erbringt er – unabhängig von einer möglichen Unbilligkeit – seine Arbeitsleistung, wird das Arbeitsverhältnis in der Form durchgeführt, die der Arbeitgeber begehrt. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich gegen unbillige Weisungen zu wehren, besteht nicht, vielmehr kann er diese hinnehmen (vgl. zB LAG Berlin-Brandenburg 31. Mai 2013 – 6 Sa 373/13 – zu 1.1.1.3.3.3 der Gründe; Staudinger/Rieble aaO § 315 Rn. 414). Ändert der Arbeitnehmer insoweit seine Auffassung, kann sein Recht zur Geltendmachung der Unbilligkeit – wie jedes andere Recht – verwirken (vgl. zu diesem Aspekt: LAG Düsseldorf 6. April 2016 – 12 Sa 1153/15 – zu A II 3 c der Gründe; Schaub/Linck aaO § 45 Rn. 19a). Akzeptiert der Arbeitnehmer hingegen eine Weisung, die er als unbillig ansieht, nicht und erbringt keine Arbeitsleistung, trägt er das Risiko, ob ein Gericht im Rahmen der Prüfung nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB seine Einschätzung teilt (vgl. zur Risikoverteilung: BAG 29. August 2013 – 2 AZR 273/12 – Rn. 32; 19. Januar 2016 – 2 AZR 449/15 – Rn. 29). Ist dies nicht der Fall, kann der Arbeitgeber Sanktionen aussprechen und der Arbeitnehmer verliert seinen Vergütungsanspruch. Erzwingen könnte der Arbeitgeber die Erbringung der Arbeitsleistung im Hinblick auf § 888 Abs. 3 ZPO in keinem Fall. Erweist sich die Weisung hingegen als unbillig, hat der Arbeitgeber – soweit die sonstigen Voraussetzungen vorliegen – nach § 615 iVm. § 611 BGB bzw. im Wege des Schadensersatzes die Vergütung zu leisten, ohne einen Nachleistungsanspruch zu haben. Denjenigen, der eine unbillige Weisung erteilt, trifft dementsprechend das Risiko der Unwirksamkeit dieser Weisung; dieses kann nicht auf den Vertragspartner abgewälzt werden (vgl. zu einer ähnlichen Risikoverteilung zwischen Verbraucher und Versorgungsunternehmen: BGH 5. Juli 2005 – X ZR 60/04 -; 19. Januar 1983 – VIII ZR 81/82 -; Schaub/Linck aaO § 45 Rn. 19a). Bei Annahme einer vorläufigen Verbindlichkeit unbilliger Weisungen könnte der Arbeitgeber diese hingegen risikolos erteilen. Folgt der Arbeitnehmer ihnen nicht, wäre er Sanktionen bis hin zur Kündigung ausgesetzt, obwohl die Weisung nicht den gesetzlichen Anforderungen und damit der objektiven Rechtslage entspricht (vgl. zu diesem Aspekt LAG Köln 28. August 2014 – 6 Sa 423/14 – zu II 2 der Gründe). Folgt ihr der Arbeitnehmer hingegen und stellt das Gericht später deren Unbilligkeit fest, bliebe dies für den Arbeitgeber faktisch folgenlos. Damit geht es nicht um die Beseitigung von Rechtsunklarheiten (so aber LAG Köln 13. Januar 2014 – 2 Sa 614/13 -), sondern es erscheint nicht völlig polemisch, eine solche Situation als „Spielwiese für trennungswillige Arbeitgeber“ zu qualifizieren (Schauß ArbR Aktuell 2016, 518, 519).“ (Beschluss vom 14.06.2017 – 10 AZR 330/16 Rn. 81)

Dieser Auffassung schließt sich nun auch der 5. Senat an, mit der Folge, dass Arbeitgeber bei der Erteilung von Weisungen, z.B. zu einer Veränderung des Arbeitsortes oder der Arbeitszeit das Risiko tragen, dass wenn Arbeitnehmer dieser Weisung nicht folgen und sich im Nachhinein herausstellt, dass die Weisung unbillig war, Annahmeverzugslohn/Schadensersatz leisten müssen und die Vergütung auch dann bezahlen müssen, wenn der Arbeitnehmer der Weisung nicht gefolgt ist und nicht die (zugewiesene) Arbeit geleistet hatte.