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OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2016 – 10 U 202/15– “Fristlose Kündigung wegen Einsturzgefahr eines Hallendaches bei außergewöhnlichen Belastungen


Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 16.02.2016 – 10 U 202/15 – einen Sachverhalt entschieden, der in mehrfacher Hinsicht von Interesse ist. Es ging darum, dass die Mietvertragsparteien einen mehrjährigen schriftlichen Vertrag über die Nutzung einer Lagerhalle mit Holzdach geschlossen hatten. Der Mieter kündigte den Mietvertrag am 29.09.2009 aus wichtigem Grund gemäß § 569 Abs. 1 BGB wegen erheblicher Gefährdung der Gesundheit fristlos. Die Parteien stritten nicht nur über die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung sondern auch darüber, ob die Lagerhalle am 01.11.2009 durch Rückgabe eines Schlüssels an die Hausverwaltung oder erst am 14.09.2010 (also fast ein Jahr später) durch Rückgabe des zweiten Schlüssels herausgegeben wurde. Der Vermieter machte geltend, selbst wenn die fristlose Kündigung wirksam gewesen sei, schulde der Mieter bis zur Rückgabe am 14.09.2010 eine Nutzungsentschädigung in Höhe der Miete nach § 546 a BGB (nach dieser Vorschrift muss der Mieter, der die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgibt, dem Vermieter für die Dauer der Vorenthaltung eine Entschädigung in Höhe der vereinbarten Miete zahlen). Der Vermieter (wohl genauer der Anwalt des Vermieters, denn von sich aus kam der Vermieter kaum auf diese glorreiche Idee) meinte auch besonders klug zu handeln, indem er erst eine Klage auf Zahlung rückständigen Mietzinses im Urkundenprozess erhob (derartiger Unsinn wird von vermeintlichen Spezialisten auf Seminaren empfohlen). Zwar erstritt der Vermieter im Urkundenprozess ein so genanntes Vorbehaltsurteil, im Nachverfahren wurde seine Klage auf Zahlung von Miete für die Zeit nach Zugang der fristlosen Kündigung aber abgewiesen und sein clevererer Schachzug, zunächst im Urkundenprozess geklagt zu haben, führte nur dazu, dass er noch mehr Gerichts- und Anwaltskosten zahlen musste (Merke: In aller Regel ist also eine Zahlungsklage im Urkundenprozess nur für den Geldbeutel des Anwalts gut und zu sonst nichts, es sei denn, dass ausnahmsweise aus besonderen Gründen Eile geboten ist). Für den Vermieter war die Sache also ein richtiges Waterloo (natürlich nur im übertragenen, bildlichen Sinn, denn das Unglück des Vermieters beschränkt sich auf den Prozessverlust und anders als Napoleon wurde er natürlich nicht verbannt, denn derartige Strafen sind dem modernen Recht fremd).

Das Oberlandesgericht Düsseldorf nahm an, dass das Mietverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des Mieters vom 29.09.2009 aus wichtigem Grund gemäß § 569 Abs. 1 BGB fristlos beendet worden ist, so dass der Mieter ab Oktober 2009 nicht mehr zur Mietzahlung verpflichtet war. Nach § 569 Abs. 1 BGB liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 543 Abs. 1 BGB für den Mieter auch vor, wenn der gemietete Wohnraum so beschaffen ist, dass seine Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden ist. Gemäß § 578 Abs. 2 S. 2 BGB ist die Vorschrift des § 569 Abs. 1 BGB auf ein Mietverhältnis über Räume, die keine Wohnräume sind, entsprechend anzuwenden, wenn die Räume – wie hier – (auch) zum Aufenthalt von Menschen bestimmt sind. Das Kündigungsrecht setzt nicht voraus, dass bereits eine Gesundheitsgefährdung eingetreten ist. Es reicht vielmehr bereits das konkrete Bestehen einer die Gesundheit berührenden Gefährdungslage. Wann diese vorliegt, ist objektiven Maßstäben zu entnehmen. Maßgebend ist der gegenwärtige Stand der Erkenntnis, auch wenn dieser bei Vertragsschluss noch nicht bestanden haben sollte. Entscheidend ist, ob von den Räumen in ihrem gegenwärtigen Zustand eine Gesundheitsgefahr ausgeht. Diese muss konkret drohen und zudem erheblich sein, d.h. der Tatbestand des § 569 Abs. 1 BGB ist nur erfüllt, wenn die Gefahr einer deutlichen und nachhaltigen Gesundheitsschädigung besteht (so beispielsweise Ghassemi-Tabar, Gewerberaummiete, § 569 Rn. 6). Diese Voraussetzungen lagen im entschiedenen Fall vor. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Standfestigkeit der streitgegenständlichen Halle bei Ausspruch der Kündigung nicht mehr gewährleistet und hierdurch der Mietgebrauch des Mieters insgesamt beeinträchtigt war. Bei ungünstigen Wind- und/oder Schneelasten bestand die Gefahr, dass das Hallendach einstürzen könnte. Dies begründet eine Gesundheitsgefährdung. Dem steht nicht entgegen, dass die Einsturzgefahr nur bei außergewöhnlichen Belastungen auftreten kann und es sich insoweit nur um eine entfernte Gefahr handelt. Eine auf fehlender Standsicherheit beruhende Einsturzgefahr des Holzdaches einer für den Aufenthalt von Menschen bestimmten Lagerhalle ist auch dann im Sinne des § 569 Abs. 1 BGB als gesundheitsgefährdend einzustufen, wenn ihr Eintritt zwar nur bei besonderen Wind- und Schneelasten in Betracht kommt, gleichwohl aber als real einzustufen ist (so auch OLG Koblenz, AgrarR 1992, 367 und Kammergericht Berlin, JW 1930, 2975; bei der Entscheidung des Kammergerichts Berlin hat sich kein Schreibversehen eingeschlichen, denn das Urteil wurde tatsächlich in der Juristischen Wochenschrift [Vorgängerin der Neuen juristischen Wochenschrift NJW] des Jahrgangs 1930 veröffentlicht). Darauf, ob die Halle dem technischen Standard im Zeitpunkt ihrer Errichtung entsprochen hat, kommt es im Anwendungsbereich des § 569 Abs. 1 BGB nicht an. Maßgebend ist insoweit der gegenwärtige Stand der Erkenntnis, auch wenn dieser bei Vertragsschluss noch nicht bestanden haben sollte (Ghassemi-Tabar, Gewerberaummiete, § 569 Rn. 8). Eine Fristsetzung vor Ausspruch der fristlosen Kündigung bedurfte es im konkreten Fall nicht, weil der Vermieter den Mangel nachhaltig bestritten hat (§ 543 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB). Die fristlose Kündigung war auch nicht gemäß § 242 BGB (Treu und Glauben) ausgeschlossen. Der Vermieter berief sich erfolglos darauf, der Mieter habe den Zustand der Halle bei Mietvertragsabschluss gekannt und den angeblichen Mangel erst zu rügen begonnen, als dessen Ehefrau ein anderweitiges Objekt erworben hatte. Diese Einlassung des Vermieters war nach zutreffender Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf rechtlich ohne Bedeutung. Denn einer Kündigung nach § 569 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, wenn der Mieter die gefahrbringende Eigenschaft bei Vertragsschluss gekannt hat. Es liegt auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne eines Verstoßes gegen Treu und Glauben vor, wenn Motiv der Kündigung der Erwerb eines anderen Objektes durch die Ehefrau gewesen sein sollte, denn entscheidend ist allein, dass die Voraussetzungen des § 569 Abs. 1 BGB vorlagen. Dann ist ein Mieter auch aus Treu und Glauben nicht an einer außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gehindert.

Der Vermieter erlitt auch mit seiner Begründung Schiffbruch, der Mieter müsse bis zur Rückgabe des zweiten Schlüssels eine Nutzungsentschädigung nach § 546 a Abs. 1 BGB zahlen. Zwar neigte das Oberlandesgericht Düsseldorf der Meinung zu, dass der Vermieter die Mietsache erst mit Ablieferung des zweiten Schlüssels am 14.09.2010 zurückerhalten habe. Das führt aber nicht ohne weiteres zu einem Anspruch auf Nutzungsentschädigung nach § 546 a BGB bis zur Rückgabe der Mietsache. Das Gesetz gewährt Nutzungsentschädigung nur, wenn der Mieter dem Vermieter die Mietsache vorenthält. Vorenthaltung bedeutet Zurückbehaltung gegen den Willen des Vermieters. Sie liegt nicht vor, wenn der Vermieter der Auffassung des Mieters, der Mietvertrag sei beendet, wie hier widerspricht, indem er zu erkennen gibt, dass nach seiner Ansicht nicht wirksam gekündigt ist. Solange der Vermieter den Mietvertrag nicht als beendet ansieht, will er keine Räumung verlangen (BGH, Urteil vom 13.03.2003, XII ZR 34/12). Da dem Vermieter dieser Rücknahmewille fehlte, weil er der vorzeitigen Beendigung des Mietverhältnisses durch die fristlose Kündigung des Mieters vom 29.09.2009 bis zuletzt widersprochen hat und an dieser Auffassung auch weiterhin festhält, stand ihm kein Nutzungsentschädigungsanspruch nach § 546 a BGB zu. Auch konnte der Vermieter keine Zahlungen unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Bereicherung gemäß § 812 Abs.1 S. 1 2. Alt. BGB verlangen. Nutzt ein Mieter die Mietsache über die vereinbarte Laufzeit hinaus, ist er ohne rechtlichen Grund auf Kosten des Vermieters um den tatsächlich gezogenen Nutzungswert bereichert und nach §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 BGB zu dessen Herausgabe bzw. gemäß § 818 Abs. 2 BGB zum Wertersatz verpflichtet (BGH NZM 2002, 291). Allerdings reicht der bloße Besitz der Sache für einen Bereicherungsanspruch nicht aus. Der Besitzer (also hier der Mieter) muss den Nutzungswert nur vergüten, soweit er die Mietsache tatsächlich genutzt hat. Das war vorliegend aber nicht der Fall, die Rückgabe war nur daran gescheitert, dass der Mieter sich weiterhin im Besitz eines zweiten Schlüssels befand. Genutzt hatte er die Mietsache aber nicht mehr. Folglich stand dem Vermieter auch kein Bereicherungsanspruch zu. Fazit also für den Vermieter: Richtig dumm gelaufen.