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OLG Hamm, Urteil vom 09.12.2016 – 30 U 14/16 – Formularmäßiges Aufrechnungsverbot


Die Frage, ob ein formularmäßiges Aufrechnungsverbot in einem Gewerberaummietvertrag wirksam ist, beschäftigt die Gerichte immer wieder. Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Urteil vom 09.12.2016 – 30 U 14/16 – eine Mietvertragsklausel als wirksam angesehen, die anordnete, dass der Mieter nur mit unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen aufrechnen darf.

Der Mietvertrag enthielt folgendes formularmäßige Aufrechnungsverbot:

Der Mieter kann gegenüber der Miete oder dem Anspruch auf Zahlung der Betriebskosten mit einer Gegenforderung nur aufrechnen oder ein Minderungsrecht ausüben, wenn er dies mindestens einen Monat vor Fälligkeit der Miete dem Vermieter schriftlich angekündigt hat. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts und die Aufrechnung mit anderen als Ersatzforderungen wegen Mängeln der Mietsache ist ausgeschlossen, es sei denn, die Forderung ist unbestritten oder rechtskräftig festgestellt.

Der Vermieter hatte einen Anspruch auf Zahlung der Mieten für Februar und März 2013 eingeklagt. Der Mieter hatte gegen diese Forderung mit der Begründung Aufrechnung erklärt, ihm stünde ein Mietkautionsrückzahlungsanspruch in Höhe der Klageforderung zu. Der Vermieter hatte bestritten, die Barkaution erhalten zu haben. Das Landgericht Essen vernahm einen vom Mieter benannten Zeugen, der aus Sicht des Landgerichts glaubhaft bekundete, dass der Mieter dem Vermieter eine Barkaution übergab. Das Landgericht Essen wies die Klage mit der Begründung ab, das Aufrechnungsverbot umfasse nicht entscheidungsreife Gegenforderungen. Da das Gericht davon überzeugt sei, dass der Mieter dem Vermieter eine Barkaution übergeben habe, sei die Klageforderung durch Aufrechnung erloschen. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vermieter und rügt, das Landgericht Essen habe die Feststellung verfahrensfehlerhaft getroffen, der Vermieter habe eine Barkaution erhalten, weil das Landgericht eine gebotene persönliche Anhörung des Vermieters zu dieser Frage unterlassen hat. Das Oberlandesgericht Hamm gibt der Berufung statt. Es führt aus, dass eine Aufrechnung gegen die unstreitigen Mietforderungen des Vermieters nicht zulässig ist, weil die Rückzahlungsforderung des Mieters weder unstreitig noch rechtskräftig festgestellt ist. Hierbei sei das formularmäßige mietvertragliche Aufrechnungsverbot auch wirksam. Zwar wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass eine solche Klausel unwirksam sei, wenn sie nicht auch explizit entscheidungsreife Gegenforderungen aus dem Verbot ausnehme, oder aber (zur Vermeidung der Unwirksamkeit) so auszulegen sei, dass sie auch entscheidungsreife Gegenforderungen dem Aufrechnungsverbot entziehe (vgl. Palandt, BGB, § 309 Rn. 18). Jedoch teilt das Oberlandesgericht Hamm diese Auffassung in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof nicht. Der Bundesgerichtshof hat in zahlreichen Entscheidungen die Formulierung, dass (nur) unbestrittene und rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen von dem Aufrechnungsverbot ausgenommen sind, unbeanstandet gelassen und die Klauseln als wirksam erachtet (BGH, Urteile vom 17.02.1986 – II ZR 285/14 – Tz. 10 und vom 10.01.1991 – III ZR 141/90 – Tz. 35 und vom 27.01.1993 – XII ZR 141/91 Tz. 16 und vom 15.12.2010 – XII ZR 132/09 – Tz. 21; ebenso BGH NJW 2011, 514, Tz. 21 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.07.2013 – I-10 U 114/12). Auch das Oberlandesgericht Hamm sieht keinen Anhaltspunkt dafür, die Wirksamkeit der Klausel in Zweifel zu ziehen. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem Umstand, dass nach der Klausel nicht auch entscheidungsreife Gegenforderungen von dem Aufrechnungsverbot ausgenommen sind. Denn aus § 308 Nr. 3 BGB ergibt sich, dass der Gesetzgeber lediglich den Ausschluss der Aufrechnung mit unbestrittenen oder (schon) rechtskräftig festgestellten Gegenforderungen als unangemessene Benachteiligung des Vertragsgegners erachtet, nicht aber auch ein Aufrechnungsverbot bezüglich entscheidungsreifen Gegenforderungen.

Auch steht die Beendigung des Mietverhältnisses einer fortdauernden Geltung des Aufrechnungsverbots nicht entgegen. Die Beschränkung der Aufrechnungsbefugnis auf unstreitige oder rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen verliert nämlich ihren Sinn und Zweck nicht mit Beendigung des Mietverhältnisses (BGH NJW-RR 2000, 530, Tz. 1 für eine individuell vereinbarte Beschränkung; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl., § 556 b Rn. 34; Staudinger, BGB, § 556 b Rn. 20). Auch ist es nicht treuwidrig und stellt also keinen Verstoß gegen § 242 BGB dar, wenn sich der Vermieter auf das Aufrechnungsverbot beruft. Zwar kann die Berufung auf ein Aufrechnungsverbot ausnahmsweise treuwidrig sein, wenn Entscheidungsreife hinsichtlich der Gegenforderung vorliegt (BGH, Urteile vom 15.02.1978 – VIII ZR 242/79 -, Tz. 11 und vom 17.02.1986 – II ZR 285/84 -, Tz. 8 ff.). Indes nimmt zum einen der Bundesgerichtshof eine Treuwidrigkeit in solchen Fällen schon nur dann an, wenn Klage- und Aufrechnungsforderung in untrennbarem Zusammenhang stehen und Entscheidungsreife hinsichtlich der einen Forderung auch Entscheidungsreife bezüglich der anderen Forderung bedeutet. Denn nur wenn mit der Entscheidung über die Klageforderung zugleich feststehe, dass auch die Aufrechnungsforderung begründet sei, verhalte sich die Partei treuwidrig, die sich auf das Aufrechnungsverbot berufe (BGH a. a. O.). Vorliegend stehen Klage- und Gegenforderung jedoch nicht in einem untrennbaren Zusammenhang, sondern sind unabhängig voneinander entscheidungsreif oder auch nicht. Zudem fehlt es aber auch an einer Entscheidungsreife der Gegenforderung des Mieters, also des geltend gemachten Anspruchs auf Rückzahlung der Barkaution. Zwar hat das Landgericht Essen den für die Barzahlung der Mietkaution an den Vermieter benannten Zeugen gehört und ihm auch geglaubt. Der Vermieter rügt mit seiner Berufungsbegründung zu Recht, dass das Landgericht seine diesbezügliche Feststellung verfahrensfehlerhaft getroffen habe, weil es eine zumindest gebotene persönliche Anhörung des Vermieters zu dieser Frage unterlassen hat. Eine solche Anhörung war auch tatsächlich geboten. Der Grundsatz der Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes erfordern nämlich gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Artikel Abs. 1 EMRK, dass einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen. Zu diesem Zweck ist die Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO anzuhören. Diese Grundsätze gelten auch, wenn es sich um ein Sechs-Augen-Gespräch handelt, bei dem der allein zur Verfügung stehende Zeuge im Lager des Prozessgegners steht (BGH, Urteil vom 16.06.2016 – I ZR 222/14 – Tz. 33 m. w. N.). Da die somit zur Frage der Mietkautionszahlung des Mieters gebotene persönliche Anhörung des Vermieters bislang nicht erfolgt ist, fehlt es mithin auch an der Entscheidungsreife hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs des Mieters. Aus diesem Grund ist eine Aufrechnungsbefugnis weiterhin auch selbst dann ausgeschlossen, wenn man mit der schon genannten Meinung eines Teils der Literatur annähme, dass die Formularklausel des Mietvertrags zum Aufrechnungsverbot so auszulegen sei, dass auch entscheidungsreife Gegenforderungen von dem Aufrechnungsverbot ausgenommen seien.

Das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm ist auch insoweit interessant, als es die Meinung des Landgerichts Essen nicht teilte, die Klage sei hinsichtlich eines Anspruchs des Vermieters auf Zahlung von Heizkosten unbegründet und abzuweisen, weil der Vermieter hinsichtlich der streitgegenständlichen Nebenkostenabrechnung – anders als in den Abrechnungen der Vorjahre – Belege über den Kauf von Heizöl nicht hatte beibringen können. Die vollständige Abweisung des Anspruchs erweist sich als rechtsfehlerhaft, weil nach § 287 ZPO jedenfalls eine Schätzung der dem Vermieter insoweit entstandenen Kosten und damit auch des auf den Mieter entfallenden Heizkostenanteils möglich ist. Zwar war im Mietvertrag vereinbart, dass die Umlage der Heizkosten „laut Uhr“ erfolgen solle. Dem steht aber nicht entgegen, dass das Gericht die angefallenen Heizkosten gemäß § 287 Abs. 2 ZPO schätzt.

Ebenso verhielt es sich bei den streitgegenständlichen Stromkosten. Insoweit war im Mietvertrag eine Umlage der Stromkosten „laut Zähler“ vereinbart, wobei jedoch ein Zähler, der allein den Stromverbrauch des Mieters erfasste, nicht vorhanden war. Das führt nach Auffassung des Oberlandesgerichts Hamm aber nicht dazu, dass der Vermieter keinen Anspruch auf Zahlung von Stromkosten hat. Vielmehr sind die Kosten zu schätzen, wobei dem Umstand, dass der Vermieter entgegen der vertraglichen Vereinbarung die Erfassung des Stromverbrauchs des Mieters durch Zähler nicht sichergestellt hat, dadurch hinreichend Rechnung getragen wird, dass nur der jedenfalls anzunehmende Mindestverbrauch des Mieters Berücksichtigung findet.

Das Oberlandesgericht Hamm betont, dass Voraussetzung für eine Schätzung aber ist, dass eine hinreichende Tatsachengrundlage für eine Schätzung gegeben ist. Sind in einer Halle beispielsweise mehrere Mieter vorhanden und lässt sich weder feststellen noch schätzen, welcher Mieter welchen Anteil des gesamten Stromverbrauchs der Halle verursachte, kann der Vermieter keine Kostenerstattung verlangen.