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BGH, Urteil vom 11.03.2016 – V ZR 102/15– “Entfernen eines unbefugt abgestellten Pkws


Häufig sind es gerade simple Lebenssachverhalte, die rechtlich nicht einfach in den Griff zu bekommen sind. Dies zeigt das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.03.2016 – 5 ZR 102/15 -, das Kosten für das Abschleppen eines auf dem Kundenparkplatz eines Verbrauchermarktes abgestellten Pkw betraf. Durch dieses Urteil ist aber jetzt endlich Rechtsklarheit geschaffen worden. Es ging darum, dass der auf die Beklagte zugelassene Pkw – nicht von ihr, sondern von einem möglicherweise unbekannten Fahrer – am 16.06.2010 auf dem Kundenparkplatz eines Verbrauchermarktes in Berlin-Köpenick in der Zeit zwischen 8:00 Uhr und 10:05 Uhr abgestellt war. Da die durch entsprechende Schilder kenntlich gemachte Höchstparkzeit von 90 Minuten überschritten war, veranlasste ein Mitarbeiter der Klägerin (der Betreiberin des Verbrauchermarktes in Köpenick) die Umsetzung des Fahrzeuges. Die Klägerin verlangt vom Beklagten, dem Halter des Fahrzeugs, Erstattung von EUR 219,50, nämlich der aufgrund eines Rahmenvertrages geschuldeten und bezahlten Vergütung für das Abschleppen des Fahrzeugs. Das Amtsgericht Köpenick gibt der Klage in Höhe von EUR 110,00 mit der Begründung statt, die Klägerin könne Erstattung der ortsüblichen Abschleppkosten verlangen. Die dagegen eingelegte Berufung des Beklagten zum Landgericht Berlin hat Erfolg. Das Landgericht Berlin weist die Klage insgesamt ab und begründet, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht vorgelegen hätten, weil das Abschleppen nicht dem wirklichen oder dem mutmaßlichen Willen des Fahrzeughalters entsprochen habe. Diese dem Rechtsgefühl widersprechende Meinung des Landgerichts wird vom Bundesgerichtshof nicht geteilt, er stellt das Urteil des Amtsgerichts wieder her und verurteilt den Beklagten zur Zahlung der ortsüblichen Abschleppkosten. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen. Der Klägerin steht ein Anspruch gemäß § 683 S. 1 BGB i.V.m. § 670 BGB auf Zahlung der Abschleppkosten in ortsüblicher Höhe zu. Die Umsetzung des Fahrzeugs der Beklagten stellt ein Handeln in fremdem Rechtskreis und damit eine Fremdgeschäftsführung im Sinne von § 677 BGB dar. Ein Geschäft der Beklagten war dies deshalb, weil sie als Halterin des Fahrzeugs zur Entfernung nach § 862 Abs. 1 BGB (Anspruch wegen Besitzstörung) bzw. – wenn das Parken als teilweise Besitzentziehung qualifiziert wird – gemäß § 861 Abs. 1 BGB (Anspruch wegen Besitzentziehung) verpflichtet war. Das unbefugte Abstellen eines Fahrzeugs auf einem Privatgrundstück begründet eine verbotene Eigenmacht im Sinne von § 858 Abs. 1 BGB, für die nicht nur der Fahrer, sondern ebenfalls der Halter des Fahrzeugs verantwortlich ist. Das gilt auch dann, wenn das Parken an bestimmte Bedingungen – wie hier die Festlegung einer Höchstparkdauer von 90 Minuten – geknüpft ist und diese nicht eingehalten werden (BGH, Urteil vom 18.12.2015 – V ZR 160/14, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 04.07.2014 – V ZR 229/13, NJW 2014, 3727 Rn. 13). Dass die Klägerin – die Betreiberin des Verbrauchermarktes – auch im eigenen Interesse tätig geworden ist, schließt ihren Fremdgeschäftsführungswillen nicht aus (so genanntes „auch fremdes Geschäft“, vgl. BGH NJW 2009, 2590 Rn. 18 mwN). Die Übernahme des Geschäfts entsprach dem Interesse der Beklagten. Die Übernahme einer Geschäftsführung liegt dann im Interesse des Geschäftsherrn (der Beklagten als Fahrzeughalterin), wenn sie ihm objektiv vorteilhaft und nützlich ist (BGH, Urteil vom 20.04.1967 – VII ZR 326/64; BGHZ 47, 370, 372 ff.; BGH NJW-RR 1993, 200). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt die Tilgung einer einredefreien Schuld grundsätzlich als vorteilhaft und damit als interessegemäß. Entsprechendes gilt, wenn ein Grundstückseigentümer eine Eigentumsbeeinträchtigung selbst beseitigt. Der Störer wird von der ihm gemäß § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB obliegenden Pflicht frei, so dass die Übernahme des Geschäfts auch in seinem objektiven Interesse liegt und er – wenn die weiteren Voraussetzungen einer berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag vorliegen – verpflichtet ist, dem Eigentümer gemäß § 683 BGB die zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen zu erstatten. Der Umstand, dass der Geschäftsherr Aufwendungsersatz schuldet, kann naturgemäß seinem Interesse nicht schon von vornherein und generell entgegenstehen, weil § 683 BGB sonst nie erfüllt wäre. Unter Beachtung dieser Grundsätze und der hiernach gebotenen objektiven Betrachtung stellt sich die Entfernung des Fahrzeugs für die Beklagte als vorteilhaft dar. Sie ist durch die Umsetzung, zu der die Grundstücksbesitzerin gemäß § 859 Abs. 1 und 3 BGB berechtigt war, von ihrer Verpflichtung gemäß § 862 Abs.1 S. 1 BGB bzw. § 861 Abs. 1 BGB frei geworden. Andere, für die Beklagte kostengünstigere und vorteilhaftere Möglichkeiten, diesen Anspruch zu erfüllen, bestanden nicht. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Grundstücksbesitzerin von der Beklagten die sofortige Beseitigung der Störung verlangen und den Anspruch auch im Wege der Selbsthilfe durchsetzen konnte. Zu einer sofortigen Beseitigung waren jedoch weder die Beklagte noch der Fahrer des Fahrzeugs in der Lage, da sie sich in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Geschäftsübernahme weder bei dem Fahrzeug befanden noch binnen kurzer Frist ermittelt werden konnten. Die einzige Möglichkeit, den rechtswidrigen Zustand unmittelbar zu beseitigen, bestand deshalb in dem Umsetzen des Fahrzeugs. Demgegenüber war die Grundstücksbesitzerin nicht verpflichtet, die Störung so lange hinzunehmen, bis der Fahrer das Fahrzeug selbst von dem Parkplatz entfernte oder aber die Beklagte nach entsprechender Halterermittlung und Unterrichtung über die Störung durch die Grundstücksbesitzerin dies veranlasste. Aus der Sicht eines verständigen, sich rechtstreu verhaltenden Fahrzeughalters entsprach das Abschleppen deshalb seinem Interesse, weil nur auf diese Weise der Beseitigungsanspruch zu der geschuldeten Zeit erfüllt werden konnte. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts (des Landgerichts Berlin) liegen die subjektiven Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 683 BGB ebenfalls vor. Das Abschleppen des Fahrzeugs entsprach dem mutmaßlichen Willen der Beklagten. Dazu, welchen wirklichen Willen die Beklagte hatte, hatte das Landgericht Berlin keine Feststellungen getroffen. Seine Überlegung, der Wille der Beklagten werde darauf gerichtet gewesen sein, dass der Fahrzeugführer die Besitzstörung beende, ist zum einen spekulativ. Und zum anderen besagt sie nichts zu der hier entscheidenden Frage, welchen Willen die Beklagte für den Fall hatte, dass der Fahrer zu der geschuldeten sofortigen Beseitigung der Besitzstörung nicht in der Lage war. Da sich hiernach der wirkliche Wille der Beklagten nicht feststellen lässt, kommt es entscheidend auf ihren mutmaßlichen Willen an. Das ist derjenige Wille, den der Geschäftsherr bei objektiver Beurteilung aller Umstände im Zeitpunkt der Übernahme geäußert haben würde. Mangels anderer Anhaltspunkte ist als mutmaßlicher Wille der Wille anzusehen, der dem Interesse des Geschäftsherrn entspricht (BGH NJW-RR 1989,19 170; Palandt, BGB, § 683 Rn. 5). Da die Entfernung des Fahrzeugs im objektiven Interesse der Beklagten lag, war auch ihr mutmaßlicher Wille hierauf gerichtet. Sie wurde durch die Geschäftsführung von ihrer Verpflichtung zur sofortigen Störungsbeseitigung befreit, die nur durch ein Umsetzen des Fahrzeugs bewirkt werden konnte.

Aufgrund der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag kann die Grundstücksbesitzerin (die Betreiberin des Verbrauchermarkts) gemäß § 683 S. 1 BGB i.V.m. § 670 BGB Ersatz der Aufwendungen verlangen, die sie den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Hat ein Grundstücksbesitzer wie hier ein Unternehmen umfassend mit der Beseitigung der Besitzstörung gegen Zahlung einer vertraglich festgelegten Pauschalvergütung beauftragt, stellt das Eingehen einer solchen Verbindlichkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur insoweit eine ersatzfähige Aufwendung dar, als die am Ort der Besitzstörung üblichen Kosten für das Abschleppen fremder Fahrzeuge und die Kosten für vorbereitende Maßnahmen nicht überschritten werden (BGH NJW 2014, 3727 Rn. 16, 23 und 41; BGH NJW 2012, 528 Rn. 11, jeweils zu der Frage der Ersatzfähigkeit der Aufwendungen im Rahmen eines Schadensersatzanspruches des Grundstücksbesitzers). Auf dieser Grundlage ist der von dem Amtsgericht unter Berücksichtigung der Ortsüblichkeit als angemessen angesehene Betrag von EUR 110,00 nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung gefällt mir sehr gut. Zugegebenermaßen vereinfachend und pointiert „übersetzt“ sagt der Bundesgerichtshof, bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens eines Störers (eines Rechtsbrechers) kommt es nicht darauf an, wie verkommen und rechtsfeindlich dieser Rechtsstörer in Wirklichkeit ist, abgestellt wird vielmehr darauf, was ein redlicher, rechtstreuer Mensch als gebührend und anständig ansehen würde. So ist das im Ergebnis richtig (auch wenn man dogmatisch durchaus diskutieren könnte), denn der Rechtsstaat soll und darf sich nicht von Rabauken und anderen Rechtsbrechern an der Nase herumführen lassen.