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OLG Dresden, Urteil vom 29.11.2017 – 5 U 1337/17 Einstweilige Verfügung auf Räumung


Das Oberlandesgericht Dresden hat mit Urteil vom 29.11.2017 entschieden, dass auch in der Gewerberaummiete die Räumung von Räumen durch einstweilige Verfügung gegen einen Dritten angeordnet werden kann, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt. Das Urteil ist zwar dogmatisch höchst fragwürdig. Da gegen Entscheidungen eines Oberlandesgerichts im einstweiligen Verfügungsverfahren aber kein Rechtsbehelf gegeben ist, ist in Sachsen die Möglichkeit eröffnet, einen Räumungstitel im einstweiligen Verfügungsverfahren zu erwirken, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen.

Für Wohnraummietverhältnisse sieht § 940 a Abs. 2 ZPO vor, dass die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden darf, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Nach einhelliger Auffassung ist die für Wohnraummietverhältnisse geltende Vorschrift des § 940 a Abs. 2 ZPO auf Mietverhältnisse über Gewerberaum weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Mit argumentativen Kapriolen kommt das Oberlandesgericht Dresden aber zum Ergebnis, dass auch im Bereich der Gewerberaummiete eine einstweilige Räumungsverfügung möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 940 a Abs. 2 ZPO erfüllt sind. Andere Oberlandesgerichte (nämlich das Kammergericht Berlin, das OLG München und das OLG Celle) sehen dies anders und wohl dogmatisch richtig, in Sachsen hat aber in einstweiligen Verfügungsverfahren das OLG Dresden das letzte Wort.

In dem vom OLG Dresden entschiedenen Fall ging es darum, dass der Vermieter ein Gebäude zum Betrieb als Hotel und Restaurant vermietet hatte. Dieser Mietvertrag war vom Vermieter wegen Zahlungsrückständen wirksam fristlos gekündigt worden. Der gewerbliche Mieter war rechtskräftig zur Räumung und Herausgabe verurteilt. Bei der Räumungsvollstreckung stellte sich heraus, dass die Beklagte einige Räume zu Wohnzwecken nutzte. Diese waren ihr offenbar vom Hauptmieter überlassen worden. Der Vermieter beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte. Das Landgericht Chemnitz hat die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung verurteilt, das streitgegenständliche Objekt zu räumen. Deren Berufung war erfolglos. Das Oberlandesgericht meint, der Kläger könne von der Beklagten gemäß § 546 Abs. 2 BGB die Räumung des streitgegenständlichen Objektes verlangen, denn der Mietvertrag mit dem Hauptmieter sei beendet und der Hauptmieter sei rechtskräftig zur Räumung verurteilt. Darüber hinaus liegen nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden auch die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung, insbesondere der erforderliche Verfügungsgrund vor. Zwar ist die Beklagte nicht bereits deswegen zur Räumung und Herausgabe verpflichtet, weil sie sich den Besitz im Wege verbotener Eigenmacht im Sinne der §§ 861, 862 BGB verschafft hätte, weil ihr der Gebrauch der Räume vom Hauptmieter überlassen wurde. Allerdings greift nach Meinung des OLG Dresden der Rechtsgedanke des § 940 a Abs. 2 ZPO auch im Falle der Räumung eines zu gewerblichen Zwecken vermieteten Objektes ein, dessen Voraussetzungen erfüllt sind und nach Auffassung des OLG bedarf es grundsätzlich keiner zusätzlichen Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Das Oberlandesgericht entscheidet, dass der Rechtsgedanke des § 940 a Abs. 2 ZPO auch im gewerblichen Mietrecht zu berücksichtigen ist.

Vor der Schaffung von § 940 a Abs. 2 ZPO mit Wirkung ab dem 01.05.2013 ermöglichte die Regelung in §§ 935, 940 ZPO grundsätzlich den Erlass einer Räumungsverfügung im gewerblichen Mietrecht. Allerdings wurde nur in Sonderfällen ein Verfügungsgrund angenommen. Eine Sicherungsverfügung nach § 935 ZPO scheiterte regelmäßig daran, dass die Nutzung des Mietobjekts nicht zur „Veränderung des bestehenden Zustandes“ führte und die Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Rechtsdurchsetzung nicht drohte (vgl. OLG Celle NZM 2001, 194). Für die Regelungsverfügung nach § 940 ZPO fehlt es regelmäßig am Drohen wesentlicher Nachteile oder an sonstigen gleichwertigen Gründen (vgl. OLG Düsseldorf NZM 2009, 818). Auch der Gedanke, dass im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich keine Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen dürfe, stand einer Verurteilung zur Räumung im Wege einstweiliger Verfügung entgegen.

Die mit Wirkung ab 01.05.2013 in Kraft getretene Vorschrift des § 940 a Abs. 2 ZPO regelt nunmehr, dass die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden darf, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Die Vorschrift dient der vereinfachten Durchsetzung von Räumungstiteln, indem sie eine „ergänzende“ Räumungsverfügung gegen Dritte zulässt. Nach einhelliger Auffassung ist § 940 a Abs. 2 ZPO in der Gewerberaummiete nicht anwendbar. Nach dem Wortlaut regelt die Norm nur die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung. Eine Analogie kommt nicht in Betracht, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber wollte nur eine Regelung für die Wohnungsmiete schaffen. Umstritten ist aber, ob für den Bereich der gewerblichen Miete durch § 940 a Abs. 2 ZPO keine Rechtsänderung eingetreten ist oder doch zumindest der Regelungsgehalt bzw. die Wertungen, die in § 940 a Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommen, bei der Entscheidung über Räumungsverfügungen im gewerblichen Mietrecht berücksichtigt werden müssen. Die bisherigen Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte gehen – dogmatisch gleichsam „sauber“ und meiner Meinung nach auch richtig – restriktiv davon aus, dass auch eine Heranziehung der Rechtsgedanken aus § 940 a Abs. 2 ZPO im gewerblichen Mietrecht ausscheidet (so KG Berlin NZM 2013, 791; OLG München NZM 2015, 167; OLG Celle NJW 2015, 711; ebenso Zöller, ZPO, § 940 a Rn. 4). Dagegen vertreten einige Landgerichte (etwa LG Hamburg NJW 2013, 3666) und Literaturstimmen (Hinz NZM 2012, 777, 794; Münchener Kommentar zur ZPO, § 940 a Rn. 9) die Auffassung, die in § 940 a Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gekommenen Wertungen seien auch hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass von Räumungsverfügungen im Bereich der gewerblichen Miete zu berücksichtigen. Nach Meinung des OLG Dresden ist die letztgenannte Auffassung vorzugswürdig. Auch wenn der Gesetzgeber mit § 940 a Abs. 2 ZPO nur die Verfügungsgründe für den Erlass einer Räumungsverfügung bei Wohnraum erweitern wollte, habe dies Auswirkungen auf das Bestehen eines Verfügungsgrundes nach §§ 935, 940 ZPO für den Erlass einer Räumungsverfügung bei Geschäftsräumen. Wenn die Voraussetzungen nach § 940 a Abs. 2 ZPO erfüllt seien, könne bei der Gewerberaummiete eine einstweilige Verfügung nach §§ 935, 940 ZPO ergehen. Zusätzliche Anforderungen an das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, etwa eine Interessenabwägung, seien bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 940 a Abs. 2 ZPO nicht zu stellen.

Das Urteil verstößt zwar gegen Denkgesetze, denn eine nur für das Wohnungsmietrecht geltende Vorschrift wie § 940 a Abs. 2 BGB kann keine Auswirkungen auf die Gewerberaummiete haben. In Sachsen ist dies aber jetzt anders.