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OLG Dresden, Beschluss vom 08.02.2017 – 8 U 1669/16 – „Außerordentliche Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage“


Mit Beschluss vom 08.02.2017 – 5 U 1669/60 – beschäftigte sich das Oberlandesgericht Dresden mit einer außerordentlichen Kündigung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage. Zwischen den Parteien besteht ein Mietvertrag über eine als Bäckerei genutzte Verkaufsfläche in der Vorkassenzone eines Supermarktes in Chemnitz. Der Mietvertrag war zunächst bis zum 31.08.2010 befristet. Er verlängerte sich jeweils um fünf Jahre, wenn nicht eine der Parteien spätestens zwölf Monate vor Ablauf der Mietzeit der Verlängerung widersprach. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses befand sich im Objekt eine Verkaufsfläche eines Lebensmittelmarktes. Im Mietvertrag wurde als Mietzweck vereinbart: „Bäcker in der Vorkassenzone des XXX-Marktes“. Beide Mietvertragsparteien erklärten keinen Widerspruch gegen die Verlängerung des Mietvertrags bis zum 31.08.2020. Der Vermieter gab bekannt, dass der Lebensmittelmarkt zum 27.11.2015 den Geschäftsbetrieb einstellt und schließt. Der Mieter erklärte daraufhin die außerordentliche Kündigung zum Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftstätigkeit des XXX-Marktes am 27.11.2015. Der Vermieter widerspricht der Kündigung. Der Mieter räumt gleichwohl und zahlt nur bis zum 27.11.2015 Miete.

Das Oberlandesgericht Dresden führt aus, dass das zwischen den Parteien ursprünglich bestehende Mietverhältnis durch die Kündigung des Mieters zum 27.11.2015 beendet worden ist. Zwar verlängerte sich das befristete Mietverhältnis mangels Widerspruchs einer der Parteien bis zum 31.08.2020. Der Mieter konnte das Mietverhältnis aber gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB außerordentlich zu dem Zeitpunkt kündigen, in welchem der Lebensmittelsupermarkt seinen Geschäftsbetrieb einstellte. Es lagen zwar nicht die Voraussetzungen einer außerordentlichen und fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 543 Abs. 1 S. 1 BGB vor. Der Mieter konnte seine Kündigung aber auf § 313 Abs. 3 S. 2 BGB stützen (§ 313 Abs. 3 BGB lautet: Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Mietvertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.), weil diese Vorschrift neben § 543 Abs. 1 S. 1 BGB Anwendung findet, mit der Schließung des Lebensmittelsupermarktes im Objekt im November 2015 eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB eintrat und dem Mieter eine Anpassung des Mietvertrags im Sinne der Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zumutbar war. Der Mieter kann die außerordentliche Kündigung vom 16.07.2015 allerdings nicht auf einen wichtigen Grund im Sinne von § 543 Abs. 1 S. 1 BGB stützen. Die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung wegen Entzugs des vertragsgemäßen Gebrauchs (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) liegen nicht vor, weil die Schließung des Lebensmittelmarktes im November 2015 dem Mieter nicht den vertragsgemäßen Gebrauch der Verkaufsfläche, also die Nutzung als Bäckereiladen, entzogen hat. Die Verkaufsfläche konnte auch ohne den Betrieb des Lebensmittelsupermarktes von dem Mieter für den Verkauf von Backwaren genutzt werden. Auch die Voraussetzungen der Generalklausel des § 543 Abs. 1 S. 1 und S. 2 BGB lagen nicht vor. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Mietvertrags setzt danach voraus, dass dem Kündigenden die Fortsetzung des Mietverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann, was regelmäßig nur dann angenommen werden kann, wenn die Gründe, auf welche die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des Kündigungsgegners liegen (BGH NJW 2013, 2021). Daran aber fehlt es, denn der Mietvertrag enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Vermieterseite das Risiko übernommen hätte, dass der Lebensmittelsupermarkt seinen Geschäftsbetrieb beendet, während der befristete Mietvertrag mit dem Mieter als Bäcker andauert. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Dresden hat aber die Möglichkeit der außerordentlichen und fristlosen Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses, auch eines Mietvertrages, wegen nicht durch Vertragsanpassung korrigierbarer Störungen der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 3 S. 2 BGB) neben der Möglichkeit, das Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich und fristlos kündigen zu können (§§ 314, 543, 569 BGB), einen abgrenzbaren Anwendungsbereich, weswegen der erste nicht vom zweiten Kündigungstatbestand verdrängt wird. Dies war im Mietrecht schon vor Inkrafttreten der Mietrechtsreform 2001 anerkannt (BGH NJW 1996, 714). Durch das Inkrafttreten der Mietrechtsreform 2001 und der Schuldrechtsreform 2002 hat sich daran nichts geändert. Während die außerordentliche Kündigung des Dauerschuldverhältnisses ein vertragsimmanentes Mittel zur Auflösung der Vertragsbeziehung ist, begründet die Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls bzw. Störung der Geschäftsgrundlage eine außerhalb des Vertrages liegende von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, sich von den vertraglich übernommenen Pflichten zu lösen (BGH NJW 2010, 1874; zur speziellen Anwendbarkeit des § 313 Abs. 3 S. 2 im Mietrecht: OLG Dresden ZMR 2013, 429; OLG Saarbrücken NJW 2012, 3731; OLG Hamm DStR 2011, 2314; Kammergericht ZMR 2014, 876; Ghassemi-Tabar, Gewerberaummiete, § 543 Rn. 6). Die Einstellung des Geschäftsbetriebs des Supermarktes im November 2015 hat eine Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne von § 313 Abs. 1 BGB bewirkt, denn die Auslegung des Mietvertrags gemäß §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien ergibt, dass dem Mietvertragsabschluss die gemeinsame Vorstellung der vertragschließenden Parteien zugrundelag, dass im Mietobjekt gleichzeitig auf der großen Fläche ein Lebensmittelsupermarkt und auf der kleinen an den Mieter vermieteten Verkaufsfläche ein Bäckereigeschäft betrieben werden sollte. Zwar ist im Mietvertrag die Bedeutung gerade der Kombination zwischen Lebensmittelsupermarkt und Bäckerei nicht ausdrücklich geregelt. Schon die dem Mietvertrag beigefügte Skizze spricht aber dafür, dass die erheblich kleinere Verkaufsfläche für den Bäckerladen kombiniert werden sollte mit der erheblich größeren Fläche für den Lebensmittelsupermarkt. Dazu passt die Bezeichnung der Verkaufsstelle im Mietvertrag, wonach es sich um den „Bäcker in der Vorkassenzone des XXX-Marktes“ handelt. Auch wenn mit dieser Formulierung in erster Linie eine örtliche Bezeichnung des Mietgegenstandes vorgenommen wird, zeigt sie, dass das Gesamtobjekt insgesamt vom XXX-Mark dominiert wird und die Verkaufsstelle für den Bäckereiladen in dessen Vorkassenzone platziert werden soll. Das Oberlandesgericht Dresden führt ferner aus, nach den Erfahrungen des Gerichts würden gerade in Sachsen (und dies gilt wohl bundesweit) regelmäßig Lebensmittelsupermärkte in einer Kombination mit einer Verkaufsfläche für Backwaren sowie eventuell auch für Fleischwaren in denselben oder unmittelbar angrenzenden Räumlichkeiten platziert. Auch dies spricht dafür, dass bei entsprechenden baulichen Gegebenheiten die Parteien des Mietvertrags übereinstimmend davon ausgehen, dass Grundlage des Mietvertrags eine Kombination des Lebensmittelsupermarktes einerseits und des Bäckereiladens andererseits ist. Damit wird nicht das unternehmerische Risiko des Mieters dem Vermieter aufgebürdet. Um dieses Risiko des wirtschaftlichen Erfolges der angemieteten Verkaufsfläche geht es aber im vorliegend zu beurteilenden Fall nicht, sondern vielmehr darum, dass bei Abschluss des Vertrages die Vertragsparteien die beiderseitige Vorstellung vom Verwendungszweck der Gesamträumlichkeiten als eine Kombination zwischen einem Lebensmittelsupermarkt und einer Verkaufsstelle für Bäckereiwaren hatten. Somit stand dem Mieter gemäß § 313 Abs. 3 S. 2 BGB das Recht zur Kündigung des Mietvertrages zu dem Zeitpunkt zu, in welchem der Lebensmittelsupermarkt seinen Geschäftsbetrieb aufgeben würde, denn in diesem Moment entfiel die Geschäftsgrundlage des Mietvertrags, die Kombination eines Lebensmittelsupermarktes einerseits und eines Bäckereigeschäftes andererseits. Es war dem Mieter auch nicht zuzumuten, über den Zeitpunkt der Schließung des Lebensmittelsupermarktes hinaus am Mietvertrag für die Verkaufsstelle des Bäckerladens festzuhalten, denn zum Zeitpunkt der Kündigung war offen, zu welchem Zeitpunkt ein Anschlussmieter im Objekt einen Lebensmittelsupermarkt auf der großen Verkaufsfläche betreiben würde. Es kann deshalb offenbleiben, welche Übergangsfrist bis zur Eröffnung eines Lebensmittelsupermarktes durch einen Anschlussmieter dem Mieter der Bäckereifläche zumutbar gewesen wäre. Jedenfalls ist es für den Mieter nicht zumutbar gewesen, sein Mietverhältnis im Hinblick auf die unbestimmte Möglichkeit fortzusetzen, dass ein Anschlussmieter die Räume anmieten werde. Eine konkrete zeitliche Perspektive für die Aufnahme des Betriebes eines neuen Lebensmittelsupermarktes bestand zum Zeitpunkt der Kündigung nicht. Angesichts dieser fehlenden konkreten Perspektive konnte es das Oberlandesgericht Dresden auch offen lassen, in welcher Form es für den Mieter in einem vergleichbaren Fall zumutbar sein könnte, das Mietverhältnis gleichsam „ruhend zu stellen“.

Ohne Erfolg berief sich der Vermieter darauf, dem Mieter sei bereits im Jahre 2013 bekannt gewesen, dass spätestens zum Ende des Jahres 2015 der XXX-Markt im Objekt schließen werde. Dies führt nicht zum Entfallen des Kündigungsrechts zu Gunsten des Mieters aus § 313 Abs. 3 S. 2 BGB. Geschäftsgrundlage des zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrag war nicht der Fortbestand des Lebensmittelsupermarktes von XXX im Mietobjekt, sondern vielmehr der Fortbestand irgend eines Lebensmittelsupermarktes im angemieteten Objekt. Erst in dem Moment, in welchem klar wurde, dass es nicht zu einer zeitnahen Anschlussvermietung der Verkaufsfläche für den Lebensmittelsupermarkt kommen würde, konnte der Mieter den Wegfall der Geschäftsgrundlage erkennen und darauf mit einer außerordentlichen Kündigung nach § 313 Abs. 2 S. 2 BGB reagieren, was der Mieter auch getan hat, nachdem der Vermieter ihm die Unsicherheit bei der Anschlussvermietung im Sommer 2015 mitgeteilt hat.

Ich persönlich halte die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden für falsch. Richtig ist, dass kein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 543 BGB gegeben ist. Nicht überzeugend ist aber die Annahme, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Die Problematik, dass das Mietverhältnis mit dem Lebensmittelsupermarkt während der Vertragslaufzeit des Mietvertrages über den Bäckereiladen endet, war ebenso vorhersehbar wie der Umstand, dass eventuell nicht alsbald ein Anschlussmietvertrag über die Fläche des Lebensmittelsupermarktes geschlossen werden kann. War aber eine solche Situation vorhersehbar, dann liegt keine Störung der Geschäftsgrundlage vor, denn vorhersehbare Änderungen begründen in der Regel keine Rechte aus § 313 BGB (BGH NJW 2002, 3695, 3698; BGH NJW 2014, 3439). Anders kann es zu beurteilen sein, wenn beide Parteien davon ausgegangen sind, dass die objektiv vorhersehbare Entwicklung nicht eintreten werde (BGHZ 112, 261) oder sie insoweit keine Vorsorge treffen konnten (BGHZ 2, 188). Im entschiedenen Fall gibt es aber keine Anhaltspunkte dafür, dass beide Mietvertragsparteien annahmen, dass es zu keinem Leerstand der Fläche des Lebensmittelsupermarktes kommen werde (diese Vorstellung wäre auch ziemlich naiv gewesen). Auch wäre es für den Mieter der Bäckereifläche möglich gewesen, Vorsorge zu treffen, indem beispielsweise im Mietvertrag ein Sonderkündigungsrecht für den Fall vereinbart worden wäre, dass die Lebensmittelfläche länger als eine gewisse Zeit leer steht.